Akt der Liebe - Lansdale, J: Akt der Liebe - Act of Love
entkommen, war er vor mehr als fünf Jahren nach Pasadena gezogen. Es war ein Schock für ihn gewesen, feststellen zu müssen, wie wenig Schwarze dort lebten. Aber der Wechsel war relativ leichtgefallen, als die Nachbarn erst einmal herausgefunden hatten, dass er keine riesigen Schaumgummiwürfel an den Rückspiegel hängte und nicht wahllos Bordsteinabstandshalter an seinen Autos befestigte. Außerdem mochte er nicht mal Wassermelonen, Erdnussplätzchen und RC-Cola. Allerdings war er dafür bekannt, keine Schachtel Kentucky Fried Chicken liegen lassen zu können und zu Hause jeder schwarzen Bohne und jeder Scheibe Weißbrot nachzustellen. Sein zunehmender Bauch legte deutlich Zeugnis davon ab.
Manchmal beunruhigte ihn der Gedanke, er könnte nach Pasadena gezogen sein, nur weil die Nachbarschaft dort »farblos« war, wie sein Großvater immer zu sagen beliebte. Er selbst hatte sich nie für radikal gehalten. Zwar schämte er sich nicht, schwarz zu sein, aber er war auch nicht stolz darauf. Zu dieser Angelegenheit hatte er herzlich wenig zu sagen. Stolz machte ihn jedoch die Tatsache, dass er sich an den eigenen Haaren aus dem Ghetto gezogen
hatte und dass seine Familie nie erfahren würde, was es heißt, hungern, frieren und sich jämmerlich fühlen zu müssen. Er wusste, was seine Verwandten von ihm hielten, die meisten zumindest. Hinter seinem Rücken nannten sie ihn Onkel Tom, einen gereinigten Nigger, einen weißen Schwarzen. Zur Hölle mit ihnen. Sollen sie schwarz sein im Ghetto. Er würde hier schwarz sein, in Pasadena, in seinem gemütlichen Ziegelsteinhaus mit Obergeschoss. Es war kein außergewöhnliches Haus, unterschied sich kaum von den anderen in der Gegend, aber es gehörte ihm und der Bank.
Heute Nacht waren diese Überlegungen jedoch nur Zerstreuung. Seine geringste Sorge galt momentan der Farbskala von Pasadena. Da wirbelte diese quälende Vorstellung in seinem Hinterkopf. Er hasste es, versuchte, die Erinnerung zu verscheuchen, aber wie ein Ertrinkender kam sie immer wieder an die Oberfläche. Großer Gott, Bella Louise hatte nicht einmal mehr ausgesehen wie ein Mensch.
Er versuchte, an etwas anderes zu denken. Egal, woran. Er dachte an Zuhause. Überlegte, was er tun werde, wenn er dort angekommen war. Er war müde, doch viel zu aufgedreht, um einschlafen zu können. Er könnte einen Happen essen und lesen, und vielleicht, ja vielleicht würde er Rachel aufwecken und sehen, ob er ein wenig Wärme bei ihr finden konnte. Aber nein, bei näherer Betrachtung war das keine so gute Idee. Zum einen war er letzte Nacht spät vom Dienst gekommen und hatte sie gestört. Sie hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Zum anderen war da dieser Anruf am Morgen gewesen, der ihm diesen verrückten Mord beschert hatte. Nein, ein drittes Mal aufgeweckt zu werden, das würde Rachel nicht gerade in eine
liebevolle Stimmung versetzen. Er würde jetzt besser auf verständnisvoll machen und alles in allem ein besseres Sexleben haben, wenn er ihr die Extraportion Schlaf gönnte, bevor sie sich für die Arbeit zurechtmachte und JoAnna zur Schule fuhr.
Immerhin war sie da. Das zu wissen war genug. Allein dafür lohnte sich sein mieser Job.
Für Joe musste es weit schlimmer sein. Allein, geschieden von Peggy nach nur einem Jahr Ehe. Für ihn gab es nichts weiter, als nach Hause zu gehen und in der Dunkelheit die Wände anzustarren. Joe war nach der Scheidung umgezogen, und Hanson hatte ihn nicht einmal besucht. Er wusste nicht einmal, wo Joe wohnte. Joe hatte Peggy das Haus überlassen und ein Apartment gemietet, aber nie gesagt, wo es war. Joe und er waren Partner und Freunde, aber wenn der Dienst vorbei war, gingen sie getrennte Wege, und jeder lebte sein eigenes Leben.
Doch Joe war einsam. Das wusste Hanson. Man hat nicht drei Jahre einen Partner, den man öfter sieht als die eigene Frau (vielleicht mit ein Grund, warum Joe nicht mehr verheiratet war; vielleicht mit ein Grund, warum so viele Cops geschieden waren), und weiß nichts über ihn, spürt nicht, wenn sein Verhalten sich ändert und man den Kummer in seinen Augen sieht.
Diese Gedanken führten zurück zu Bella.
Abgestochen, aufgeschlitzt, übel zugerichtet. Das Opfer eines modernen Werwolfs.
Hanson stellte seinen blauen’75er Chrysler am Bordstein ab. Die Einfahrt war zugeparkt von Rachels Buick und dem alten gelben’55er Chevy, den er dieser Tage reparieren und überlackieren wollte. Yeah. Dieser Tage.
Als er aus dem Chrysler stieg,
Weitere Kostenlose Bücher