Akte Atlantis
nehmen Sie Platz, Doktor. Ich bin schon gespannt darauf, was Sie und Hiram uns vorzutragen haben.«
Kurz darauf stießen Giordino und Yeager zu ihnen, gefolgt von Dr. John Stevens, einem bekannten Historiker und Verfasser etlicher Bücher über die Untersuchung und Zuordnung alter Kunstwerke und Gerätschaften. Stevens war der typische Gelehrte und sah mit seinem Pullunder und dem Sportsakko, aus dessen Brusttasche eine Meerschaumpfeife ragte, auch genauso aus. Zudem hatte er die Angewohnheit, den Kopf leicht schief zu halten, wie ein Rotkehlchen, das nach Würmern im Boden lauscht. Er hatte eine Kühlbox aus Plastik dabei, die er neben seinem Stuhl am Boden abstellte.
Sandecker stellte den abgesägten Fuß einer Zwanzigzentimetergranate, der ihm als Aschenbecher diente, vor sich auf den Tisch und zündete sich eine Zigarre an. Er warf einen Blick zu Giordino, rechnete fast damit, dass sich sein stellvertretender Projektleiter ebenfalls eine ansteckte. Giordino indes beschloss, seinen Chef nicht zu reizen, und versuchte so zivilisiert wie möglich zu wirken.
Pitt fiel sofort auf, dass Yeager und Pat ungewöhnlich abgespannt und müde aussahen.
Sandecker eröffnete das Gespräch mit der Frage, ob jeder dazu gekommen sei, sich mit dem von Pat und Yeager vorgelegten Bericht zu befassen. Alle nickten schweigend, bis auf Giordino. »Eine interessante Lektüre«, sagte er, »aber die utopischen Geschichten von Isaac Asimov oder Ray Bradbury finde ich doch noch besser.«
Yeager wandte sich mit festem Blick an Giordino. »Ich kann dir versichern, dass es sich nicht um Utopie handelt.«
»Habt ihr rausgefunden, wie sich dieses Volk nannte?«, fragte Pitt. »Hatten die einen Namen für ihre Kultur, von Atlantis mal abgesehen?«
Pat schlug einen Aktenordner auf, der vor ihr auf dem Tisch lag, entnahm ihm ein Notizblatt und musterte den Text. »Soweit ich das anhand der entzifferten und übersetzten Inschriften feststellen konnte, bezeichnete dieses Seefahrervolk sich und seinen Bund von Stadtstaaten als Amenes, genau so geschrieben, wie man es spricht.«
»
Amenes
«, wiederholt Pitt bedächtig. »Klingt irgendwie griechisch.«
»Ich habe eine Reihe von Wörtern entdeckt, bei denen es sich durchaus um Grundformeln späterer griechischer und ägyptischer Begriffe handeln könnte.«
Sandecker deutete mit seiner Zigarre auf den Historiker. »Dr. Stevens, ich nehme an, Sie haben die Obsidianschädel untersucht.«
»Ganz recht.« Stevens bückte sich, öffnete die Kühlbox, holte einen der schwarzen Schädel heraus und stellte ihn auf ein großes Seidenkissen, das vor ihm auf dem Konferenztisch lag.
Das glatte Obsidian glänzte im Licht der Deckenstrahler. »Eine wahrhaft bemerkenswerte Arbeit«, sagte er. »Die Künstler der Amenes haben ihn aus einem Obsidianblock hergestellt – einem unglaublich reinen und makellosen Stück, was an sich schon eine Seltenheit ist. Im Verlauf von mindestens neunzig bis hundert Jahren, vermutlich sogar länger, wurde er von Hand geformt und zurechtgeschmirgelt, und zwar meiner Ansicht nach mit Hilfe von Obsidianstaub.«
»Warum nicht mit Hämmern und gehärteten Metallmeißeln?«, fragte Giordino.
Stevens schüttelte den Kopf. »Werkzeuge wurden nicht verwendet. Es gibt keinerlei Kratz- oder Schlagspuren.
Außerdem ist Obsidian zwar ein äußerst harter Werkstoff, aber auch sehr spröde. Ein einziger Ausrutscher, ein falsch angesetzter Meißel- oder Hammerschlag, und der ganze Schädel wäre zersprungen. Nein, er wurde behutsam zurechtgeschliffen und geschmirgelt. Eine mühsame Arbeit, etwa so, als versuchte man mit Autopolitur eine Marmorbüste herzustellen.«
»Wie lange würde es dauern, so etwas mit modernem Gerät herzustellen?«
Stevens lächelte leicht. »Rein technisch wäre es nahezu unmöglich, eine genaue Kopie davon zu machen. Je eingehender ich mich damit befasse, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es so etwas gar nicht geben dürfte.«
»Befinden sich Markierungen am Fuß, die Rückschlüsse auf die Herkunft zulassen?«, fragte Sandecker.
»Nichts dergleichen«, antwortete Stevens. »Aber ich zeige Ihnen etwas anderes, das noch viel erstaunlicher ist.« Mit äußerster Vorsicht drehte er am Schädeldach, bis es sich abheben ließ. Danach holte er eine ebenmäßige Kugel aus dem Inneren, hielt sie andächtig in beiden Händen und setzte sie dann auf ein eigens vorbereitetes Polster. »Ich darf gar nicht daran denken, welche Kunstfertigkeit erforderlich war, um
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