Akte Atlantis
worden war, ihr Leben verloren. Insgesamt achtundzwanzig Bergleute waren in den düsteren, dumpfigen Stollen umgekommen – vierzehn Mann bei einem einzigen Unglück –, an die hundert andere waren bei Stolleneinbrüchen und durch herabstürzendes Gestein so schwer verletzt worden, dass sie ihr Leben lang gezeichnet waren.
Die Alteingesessenen, die später nach Telluride zogen und inzwischen längst gestorben sind, behaupteten immer, man könnte die Geister der toten Kumpel in den verlassenen Stollen umgehen hören, die sich fünfzehn Kilometer weit durch das Gebirgsmassiv zogen – graue Felsen, die viereinhalbtausend Meter hoch in den tiefdunklen Himmel über Colorado aufragten.
Anfang der dreißiger Jahre waren die Goldvorkommen, die sich mit Hilfe von Chemikalien halbwegs rentabel aus dem Gestein gewinnen ließen, erschöpft. Die ausgebeutete Paradise Mine wurde stillgelegt.
Mehr als sechzig Jahre lang lebte sie nur mehr in der Erinnerung der Überlebenden fort, während die Natur die alten Narben im Antlitz der Erde allmählich überwucherte. Bis zum Jahr 1996 dauerte es, ehe wieder jemand mit schweren Arbeitsstiefeln durch diese Gänge schritt und der Klang einer Spitzhacke in den Stollen widerhallte.
Marquez blickte zu den Gipfeln der Berge hinauf. Letzte Woche hatte es vier Tage lang gestürmt, sodass da oben noch mehr Schnee lag als zuvor. Mittlerweile stiegen die Temperaturen, wodurch die weiße Pracht immer weicher und schwerer wurde. Jetzt herrschte höchste Lawinengefahr, vor allem droben in den Bergen, daher wurden die Skifahrer davor gewarnt, die ausgewiesenen Pisten zu verlassen. Soweit Marquez wusste, war bislang noch nie eine Lawine auf Pandora niedergegangen. Doch sosehr es ihn auch beruhigte, seine Familie in Sicherheit zu wissen – er selbst fuhr im Winter ungeachtet aller Gefahr den steilen, vereisten Weg hinauf und arbeitete tief im Berginneren.
Dabei konnte bei einsetzendem Tauwetter jederzeit ein Schneebrett abbrechen.
Marquez hatte erst einmal eine Lawine niedergehen sehen.
Die gewaltige Wucht und Schönheit dieser Schneemassen, die sich in einer weißen Wolke zu Tal wälzten und dabei Felsbrocken und Bäume mit sich rissen, hatte er niemals vergessen.
Zu guter Letzt setzte er den Schutzhelm auf, klemmte sich ans Steuer des Pickup, ließ den Motor an und wartete ein paar Minuten, bis er warm gelaufen war. Dann fuhr er vorsichtig die schmale, unbefestigte Straße hinauf, die zu der einstmals ergiebigsten Goldmine in ganz Colorado führte. Seine Reifen hinterließen tiefe Abdrücke im Neuschnee.
Behutsam steuerte er höher und immer höher in die Berge hinauf. Schon nach kurzer Zeit ging es unmittelbar neben der Straße steil bergab, hunderte von Metern tief. Wenn er jetzt ins Schleudern geriet, konnten die Rettungsmannschaften nur mehr seine Überreste aus den zerschellten Trümmern des Pickups kratzen.
Die Leute hier in der Gegend meinten, er sei nicht recht bei Trost, als er die Schürfrechte an der alten Paradise-Mine erworben hatte.
Schließlich waren sämtliche Goldadern, deren Abbau sich lohnte, längst erschöpft. Doch Marquez war damit reich geworden, auch wenn das außer einem Bankier in Telluride niemand ahnte. Er hatte den Gewinn in Grundstücke vor Ort gesteckt, die er später, als ringsum die Skisportanlagen nur so aus dem Boden schossen, für zwei Millionen Dollar veräußern konnte.
Marquez hatte es nicht auf Gold abgesehen. Seit zehn Jahren schon schürfte er weltweit nach Edelsteinen. Auf der Suche nach wertvollen Kristallen, die sich zu Schmucksteinen verarbeiten ließen, hatte er die alten, aufgelassenen Gold- und Silberminen von Montana, Nevada und Colorado erkundet. In einem Stollen der Paradise-Mine, dessen Wände nach Ansicht der alten Bergleute nur aus wertlosem Gestein bestanden, hatte er eine Ader aus rosaroten Kristallen entdeckt. Bei dem Fund, so hatte Marquez erkannt, handelte es sich um Rhodochrosit oder Manganspat, ein großartiges, rosa bis dunkelrote Kristalle bildendes Mineral, das man an diversen Stellen der Welt findet.
Geschliffenes oder poliertes Rhodochrosit bekam man nur selten zu Gesicht. Die großen Kristalle waren bei Sammlern begehrt, und die dachten nicht daran, sie zerstückeln zu lassen.
Reine, durchscheinende Steine wie aus der Paradise-Mine, aus denen sich makellose Achtzehnkaräter schleifen ließen, waren sehr teuer. Marquez wusste, dass er sich zur Ruhe setzen und bis ans Ende seiner Tage ein angenehmes Leben führen konnte,
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