Akte Atlantis
nahm Sheriff Jim Eagan Platz, kippte seinen Stuhl so weit zurück, dass er nur mehr auf zwei Beinen stand, und holte ein Notizbuch aus der Brusttasche seines Hemds. »Nun erzähl mir mal, was hier vorgeht.«
Marquez berichtete in aller Kürze von dem Stolleneinsturz und dem Wassereinbruch, von Pitts wundersamem Auftauchen und ihrer Flucht aus der geheimnisvollen Kammer. Er schilderte ihm die Begegnung mit den drei Mördern und erklärte ihm, weshalb sie gewaltsam in den Weinkeller des Hotels gedrungen waren. Marquez, erschöpft und ausgelaugt, wie er war, begann stockend. Doch als er Eagans Zweifel spürte, sprach er immer schneller und flüssiger, wurde zusehends verzweifelter und ungehaltener, flehte den Sheriff schließlich regelrecht an, er solle Tom Ambrose retten. »Verdammt, Jim, stell dich doch nicht so stur. Mach dich auf die Socken und schau selber nach.«
Eagan achtete Marquez, denn er wusste, dass er ein rechtschaffener Mann war, doch seine Geschichte war allzu weit hergeholt, als dass er sie ihm ohne stichhaltige Beweise abgenommen hätte. »Ein Schädel aus schwarzem Obsidian, geheimnisvolle Inschriften in einer Kammer, die dreihundert Meter tief im Berg aus dem Fels gehauen wurde, eine Mörderbande, die sich mit Motorrädern in der alten Mine rumtreibt. Wenn das, was du mir da erzählst, stimmt, dann steht ihr drei unter Mordverdacht.«
»Mr. Marquez hat Ihnen die reine Wahrheit gesagt«, mischte sich Pat ein, die zum ersten Mal das Wort ergriff. »Wieso wollen Sie ihm nicht glauben?«
»Und wer sind Sie?«
»Patricia O’Connell«, sagte sie müde. »Ich bin von der University of Pennsylvania.«
»Und was haben Sie in der alten Mine zu suchen?«
»Mein Fachgebiet sind alte Sprachen. Man hat mich gebeten, nach Telluride zu kommen und die seltsamen Inschriften zu entziffern, die Mr. Marquez in der Mine entdeckt hat.«
Eagan musterte die Frau einen Moment lang. Sie hätte durchaus hübsch sein können, wenn sie anständig gekleidet und ein bisschen gepflegter gewesen wäre. Er konnte kaum glauben, dass er es mit einer Doktorin für alte Sprachen zu tun hatte.
Tropfnass, wie sie war, mit strähnigen Haaren und vor Schmutz starrendem Gesicht, wirkte sie eher wie eine Stadtstreicherin.
»Bislang weiß ich bloß«, sagte Eagan langsam, »dass ihr ein Motorrad, das womöglich gestohlen ist, zu Schrott gefahren und den Weinkeller vom Hotel verwüstet habt.«
»Vergiss es«, rief Marquez. »Rette lieber Dr. Ambrose.«
»Ich schicke meine Männer erst in die Mine, wenn ich davon überzeugt bin, dass ihr die Wahrheit sagt.«
Jim Eagan war seit acht Jahren Sheriff im San Miguel County, und die Zusammenarbeit mit den Marshals, die für die politischen Aufgabeninder Stadt Telluride zuständig waren, klappte im besten Einvernehmen.
Nur ab und zu wurde in dieser Gegend ein Mord verübt. Für gewöhnlich hatte er es mit Autounfällen, kleinen Diebstählen, Trunkenheit, Schlägereien, Vandalismus und Drogendelikten zu tun, zumeist begangen von jungen Leuten, die im Sommer zahlreicher Attraktionen wegen nach Telluride kamen, so zum Beispiel zum Bluegrass- und Jazz-Festival. Eagan wurde von Bewohnern dieses kleinen, in einer herrlichen Landschaft gelegenen Verwaltungsbezirks allgemein geachtet. Er war ein umgänglicher Mann, ernsthaft bei der Arbeit, aber auch jederzeit für einen Spaß zuhaben, wenn er auf ein Bier in einer der hiesigen Kneipen einkehrte. Obwohl er nur mittelgroß und auch nicht allzu schwer gebaut war, konnte seine Miene so einschüchternd und vorwurfsvoll wirken, dass jeder Verdächtige, den er festgenommen hatte, klein beigab, sobald er ihn nur einmal streng anschaute.
»Dürfte ich Sie um einen kleinen Gefallen bitten?«, sagte der zerschrammte, müde wirkende Mann in dem zerfetzten Tauchanzug, der aussah, als wäre er in die Flügelräder eines Pumpwerks geraten.
Auf den ersten Blick hielt Eagan ihn für Mitte vierzig, aber vermutlich war er gut fünf Jahre jünger, als man auf Grund des braun gebrannten, wettergegerbten Gesichts hätte meinen mögen. Der Sheriff schätzte ihn auf etwa einen Meter neunzig, achtzig bis fünfundachtzig Kilo schwer. Er hatte schwarze, wellige Haare mit ein paar grauen Strähnen an den Schläfen. Die Augenbrauen waren dunkel und buschig, die Augen leuchtend grün. Eine schmale, gerade Nase, ein energischer Mund, auch wenn er gerade zu einem leichten Grinsen verzogen war.
Was Eagan zu schaffen machte, war weniger die Gelassenheit, mit der er ihm
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