Akte Atlantis
»Allzu gesprächig wirken die nicht.«
»Hier geht irgendetwas vor sich, das weit über die Grenzen dieses Bezirks hinausreicht.« Pitt schälte sich aus seinem Trockentauchanzug und schlüpfte wieder in seine Straßenkleidung. »Könnte nichts schaden, wenn Sie sich auf allerhand gefasst machen.«
Eagan wirkte nachdenklich. »Na schön, ich schreibe einen Bericht für die Kriminalpolizei…«
Der Sheriff stockte, und alle wandten sich um und starrten in den Stollen.
Ein Mann kam laut rufend auf sie zugerannt, als würde er von tausend Teufeln gehetzt. Kurz darauf erkannten sie, dass es einer von Eagans Deputies war. Torkelnd blieb er stehen, beugte sich erschöpft vornüber und rang keuchend nach Luft.
»Was gibt’s, Charlie?«, bedrängte ihn Eagan. »Spuck’s schon aus!«
»Die Toten…«, japste Charlie, der Deputy. »Die Toten im Leichenschauhaus!«
Eagan packte Charlie an den Schultern und zog ihn hoch.
»Was ist mit den Toten?«
»Sie sind weg.«
»Was redest du da?«
»Der Coroner hat gesagt, sie sind verschwunden. Jemand hat sie aus dem Leichenschauhaus geklaut.«
Pitt schaute Eagan eine ganze Weile schweigend an. »An Ihrer Stelle«, sagte er dann leise, »würde ich auch dem FBI und dem Justizministerium einen Durchschlag Ihres Berichts zukommen lassen. Hier geht es um viel mehr, als wir uns überhaupt vorstellen können.«
ZWEITER TEIL
In den Fußstapfen der Ahnen
9
27. März 2001
Okuma Bay, Antarktis
Kapitän Daniel Gillespie stand auf der breiten, verglasten Brücke der
Polar Storm
und schaute durch den getönten Feldstecher auf das Eis, das sich rund um den Rumpf des Eisbrechers aufschichtete. Gertenschlank stand er da, besorgt vornüber gebeugt, und musterte das Eis, während er sich einen Kurs überlegte, auf dem sie möglichst mühelos hindurchkämen.
In diesem Herbst war das Rossmeer sehr früh zugefroren.
Stellenweise war das Eis bereits über einen halben Meter dick, und mitunter türmten sich die Schollen bis zu anderthalb Metern hoch auf.
Das Schiff erbebte unter seinen Füßen, als der tropfenförmige Bug das Eis rammte, angehoben wurde und sich über die glatte Scholle schob.
Dann zerbarst das Packeis unter dem Gewicht des Vorschiffes in lauter klavierdeckelgroße Schollen, die scharrend und schürfend an den Stahlplatten vorbeischrammten und den Anstrich vom Rumpf schabten, bis sie von den mächtigen, gut dreieinhalb Meter großen Schiffsschrauben zu kleinen Brocken zerhackt wurden, die im Kielwasser davon trieben. Dieser Vorgang wiederholte sich, bis das Schiff ein paar Meilen vor dem Festland in freies Fahrwasser gelangte, auf dem sich noch kein Eis gebildet hatte.
Die
Polar Storm
war Eisbrecher und Forschungsschiff in einem. Sie war ein vergleichsweise altes Schiff, das 1981 vom Stapel gelaufen war, vor zwanzig Jahren also. Außerdem war sie für einen Eisbrecher relativ klein – ganze fünfundvierzig Meter lang, knapp achteinhalb Meter breit und achttausend Bruttoregistertonnen groß. Aber sie war eigens für die Erkundung polarer und subpolarer Gewässer ausgerüstet, verfügte über allerlei ozeanographische, meteorologische und biologische Forschungseinrichtungen und konnte bis zu einem Meter dickes Eis durchbrechen.
Evie Tan, die sich in Montevideo an Bord begeben hatte, wo die
Polar Storm
auf ihrer Fahrt in die Antarktis einen Zwischenstopp eingelegt hatte, saß auf ihrem Stuhl und machte sich Notizen. Als freie Journalistin und Fotografin, die auf wissenschaftliche und technische Themen spezialisiert war, sollte sie für eine einschlägige Illustrierte eine Story über diese Expedition schreiben. Sie war klein und zierlich, hatte langes, seidiges schwarzes Haar und war auf den Philippinen geboren und aufgewachsen. Sie blickte zu Kapitän Gillespie und beobachtete ihn, wie er das Packeis vor ihnen musterte, ehe sie ihm eine Frage stellte.
»Wollen Sie hier auf dem Packeis ein wissenschaftliches Team absetzen, das das Eis untersuchen soll?«
Gillespie senkte das Fernglas und nickte. »Das machen wir regelmäßig. Die Glaziologen marschieren mitunter bis zu dreimal pro Tag raus aufs Eis und sammeln Proben, die sie später im Schiffslabor untersuchen. Außerdem vermessen sie ständig die Ausdehnung und die Dicke des Eises, an dem wir vorbeifahren.«
»Was genau wollen Sie erforschen?«
»Joel Rogers, der wissenschaftliche Leiter dieser Expedition, kann Ihnen das besser erklären als ich. Unsere Aufgabe besteht vor allem darin festzustellen, inwieweit
Weitere Kostenlose Bücher