Akte Atlantis
überprüfte deren Finimeter. Die beiden hatten noch deutlich mehr Luft.
Vermutlich hatten sie einen kürzeren Weg zu der Kammer gefunden. Pitt kam es so vor, als wäre eine halbe Ewigkeit vergangen, bis sie den senkrechten Schacht erreichten, sich an den Aufstieg machten und die erste Dekopause einlegen mussten.
Sheriff Eagan und Luis Marquez hatten mit einem Nylonseil zwei Reserveflaschen punktgenau auf die Tiefe heruntergelassen, die Giordino vorausberechnet hatte.
Ohne den Dekompressionscomputer aus den Augen zu lassen, hörte Giordino zu, wie Pitt den Flaschendruck ablas und durchgab, wie lange ihr Luftvorrat noch reichte. Erst als die Nadel im roten Bereich stand, schnallte er seine ab und stieß sie weg. Die Gefangenen setzten sich nicht zur Wehr. Trotzdem war Pitt ständig auf der Hut. Er wusste sehr wohl, dass die beiden zwei tickende Zeitbomben waren, die jeden Moment losgehen konnten, dass sie nur auf die erstbeste Gelegenheit zur Flucht warteten.
Bleiern zog sich die Zeit dahin. Längst hatten sie die Reserveflaschen angeschlossen. Als der Luftvorrat ihrer Gefangenen zur Neige ging, nahmen sie sie in Wechselatmung und schoben ihnen alle zwei Atemzüge eins ihrer Mundstücke zwischen die Zähne. Als die vorgeschriebene Zeit abgelaufen war, schwammen sie langsam nach oben bis zur nächsten Dekopause.
Die Reserveflaschen waren fast aufgebraucht, als Giordino endlich das Zeichen zum Auftauchen gab. »Das wär’s gewesen.
Jetzt geht’s heim.«
Pitt stieg die Strickleiter hinauf, die Marquez in den Schacht geworfen hatte. Oben angelangt, überließ er Sheriff Eagan seine Pressluftflaschen.
Dann reichte er ihm den Schädel und den Sack mit der Fotoausrüstung.
Anschließend ließ er sich von ihm hochziehen, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Pitt rollte sich auf den Rücken, zog die Vollgesichtsmaske ab und blieb eine Zeit lang liegen, atmete dankbar die kühle, feuchte Luft in der Mine ein.
»Da seid ihr ja wieder«, sagte Eagan. »Wieso hat das so lang gedauert? Ihr hättet schon vor zwanzig Minuten zurück sein sollen.«
»Wir sind auf zwei weitere schwere Jungs gestoßen.«
Giordino tauchte auf, kletterte an der Leiter hoch, blieb auf allen vieren knien und zog den kleineren der beiden Gefangenen in den Stollen hinauf. »Beim andern müsst ihr mir helfen«, sagte er und nahm die Taucherbrille ab. »Der wiegt mindestens doppelt so viel wie ich.«
Drei Minuten später stand Eagan über den beiden Eindringlingen und vernahm sie. Doch sie schauten ihn nur herausfordernd an, ohne ein Wort zu sagen. Pitt kniete sich neben sie und nahm die Haube ab, die Kopf und Kinn des Kleineren bedeckte.
»Schau an, schau an, mein alter Freund, der Biker. Was macht der Nacken?«
Der gefesselte Killer hob den Kopf und wollte Pitt ins Gesicht spucken, verfehlte ihn aber knapp. Er hatte die Zähne gefletscht wie ein tollwütiger Hund und funkelte Pitt an, als wollte er ihn mit Blicken töten.
»Ein richtig giftiger kleiner Teufel sind wir, was?«, sagte Pitt.
»Ein Vorkämpfer fürs Vierte Reich. Nicht wahr? Träum ruhig weiter davon, wenn du im Knast schmorst.«
Der Sheriff beugte sich vor und tippte Pitt an die Schulter.
»Ich muss sie laufen lassen.«
Pitt blickte auf und funkelte ihn mit seinen leuchtend grünen Augen an. »Den Teufel werden Sie tun.«
»Ich kann sie nicht einfach festnehmen, solange sie sich nicht, strafbar gemacht haben«, erwiderte Eagan.
»Ich erstatte Anzeige gegen sie«, meldete sich Marquez.
»Weswegen?«
»Hausfriedensbruch, Verstoß gegen die Schürfrechte, vorsätzliche Sachbeschädigung und Diebstahl obendrein.«
»Was haben sie gestohlen?«, fragte Eagan verdutzt.
»Meine Stromleitung«, erwiderte Marquez empört und deutete auf die Kabel, mit denen die beiden Taucher gefesselt waren. »Das Kabel haben sie aus meiner Mine geklaut.«
Pitt legte Eagan die Hand auf die Schulter. »Sheriff, hier geht’s auch noch um versuchten Mord. Ich glaube, Sie wären besser beraten, wenn sie die beiden ein paar Tage in Gewahrsam nähmen, wenigstens so lange, bis man sie vernommen, ihre Identität festgestellt und vielleicht herausgefunden hat, was sie vorhatten.«
»Komm schon, Jim«, sagte Marquez. »Du kannst sie doch wenigstens so lange hinter Schloss und Riegel sperren, bis du sie vernommen hast.«
»Ich bezweifle, dass ich von denen viel erfahre.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Giordino, der sich mit einer kleinen Bürste über die lockigen Haare strich.
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