Akte Mosel
um 10 Uhr einen Termin.«
Jo beugt sich zum Autofenster: »Leg’ dich danach noch ein wenig hin, ich komme mit dem Bus nach Hause.«
Als Zelig zu seinem Auto kommt, läßt er den schweren Eimer hinter der Heckklappe auf den Asphalt plumpsen. Mit der einen Hand kramt er in seiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel und fährt sich mit der anderen an die Stirn. Eine neue Welle der Übelkeit überkommt ihn. Er sperrt auf und läßt sich auf den Sitz fallen. Mühsam kurbelt er die Seitenscheibe herunter. Er schiebt den Sitz nach hinten und versucht, die Beine zwischen den Pedalen auszustrecken, seine Eingeweide krampfen sich schmerzhaft zusammen. Aus halb geöffneten Augen nimmt er wahr, wie Jo den Eimer hochhebt. Wenn er jetzt den Eimer wieder mitnähme, wäre Zelig zu schwach, um ihm zu folgen. Nach ein paar tiefen Atemzügen geht es dem etwas besser. Er greift rüber und entriegelt die Beifahrertür. Jo schiebt sich neben ihn auf den Sitz. Den Eimer stellt er wieder zwischen seine Beine auf den Wagenboden.
»Halten Sie bitte hinter der Bushaltestelle kurz an«, sagt Jo, als sie durch die Nordallee fahren und an der Porta Nigra vorbeikommen.
Jo kauft in einer Apotheke Aspirin. Zu Hause hat er ein spezielles Gemisch nach einer Rezeptur eines Mönchs aus Cochem an der Mosel. Pater Placitus ist dort Kellermeister in einer Abtei. Er ist ein absoluter Experte im Ausbau der Weine und läßt es sich nicht nehmen, auch heute noch, im Alter von über 80 Jahren, jeden Weinkäufer persönlich zu beraten. Seit vielen Jahrzehnten gilt Placitus’ besonderes Interesse der Bekämpfung der Folgen exzessiven Weingenusses. In Selbstversuchen und in einer Versuchsreihe, zu der sich seine Klosterbrüder zur Verfügung gestellt haben, hat er die Rezeptur entwickelt, deren Zusammensetzung streng geheim gehalten wird. Die Wirksamkeit des Mittels hat inzwischen fast den Bekanntheitsgrad des Weines der Abtei erreicht. Jedenfalls sucht ein Großteil der Weinkunden des Klosters auch den Apotheker des Ortes auf, der exklusiv Placitus’ Rezeptur zusammenbraut und vertreibt.
Zelig fragt sich, wo Jo bleibt. Er hockt hinter dem Steuer und beobachtet die Leute, die vom Bahnhof in die Stadt zum Einkaufen gehen. Warum muß er sich ausgerechnet heute so kotzübel fühlen?
Endlich geht die Beifahrertür auf, und Jo läßt sich hineinplumpsen. Der Wagen schwankt wie ein Schiff bei schwerem Seegang. Die Gesichtsfarbe von Zelig nimmt abrupt die Farbe der Kastanienblätter an, die auf der anderen Alleenseite über die Fahrbahn hängen.
»Das wird Ihnen helfen.« Jo reicht Zelig eine Tüte mit der Aufschrift Porta-Nigra-Apotheke. »Fahren Sie los, es soll ja schon mal ein Pferd vor der Apotheke …« Jo verspürt keine Müdigkeit mehr, er hat sich das Ganze viel schlimmer vorgestellt. Polizei, Verhör, unangenehme Fragen und was sonst noch dazugehört.
Am Landesmuseum parkt Zelig am Nebengebäude, in dem sich die Verwaltung befindet. Langsam gehen sie die Stufen zum Eingang hoch. Jo trägt den Eimer. Im Gebäude ist es kühl. Sie gehen an der leeren Pförtnerloge vorbei durch einen Gang und zwei Treppen hoch. Der Raum, den sie betreten, ist hell erleuchtet. Zwei Personen in grauen Kitteln stehen mit Kaffeetassen in der Hand am Fenster und blicken in den Innenhof des Museums, aus dem eine monumentale Kopie der Igeler Säule in den blauen Himmel ragt.
»Darf ich meine Kollegen aus der Abteilung Restauration vorstellen, Frau Müntefering und Herr Lorig, Herr Dr. Ganz, der Entdecker eines außergewöhnlichen« er räuspert sich, »und sensationellen Fundes.« Zelig weist auf einen leeren Tisch in der Mitte des Raumes, und Jo stellt dort den Eimer ab.
»Ich bin gleich zurück«, Zelig geht zur Tür hinaus.
Die beiden Museumsangestellten beäugen den Eimer, wagen aber nicht, ihn anzufassen.
»Möchten Sie Kaffee?« Lorig deutet auf eine halb volle Glaskanne auf dem Fensterbrett.
Jo schenkt sich in eine dicke Steinguttasse ein.
Zelig kommt zurück. Sein Haar ist gekämmt und das Hemd steckt in der Hose. »So, der große Augenblick ist gekommen, fangen wir an.«
»Darf ich?« Jo zieht das Tuch vom Eimer, hebt mit beiden Händen die Plastiktüte heraus und setzt sie langsam auf dem Tisch ab. Dabei rutschen Münzen durch die Öffnung auf die glatte Resopalplatte. Es wird mucksmäuschenstill im Zimmer. Alle starren auf die herausgefallenen Münzen, von denen einige im Gemisch aus Tages- und künstlichem Licht wunderschön glänzen. Zelig besinnt
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