Akte Mosel
Altstadt. Die mächtige, ringsum angestrahlte Kathedrale erhebt sich. Die Straßen werden enger, sie fahren über kleine Brücken. Hier ist reger Betrieb. Vor ihnen setzt ein Wagen aus einer Parklücke.
»Sollen wir uns das mal angucken?« Marie versucht bereits, in den freien Platz einzuparken.
»Wird auch Zeit, daß wir endlich eine Rast einlegen, wir sind ja schon fast eine Stunde unterwegs.«
Sie gehen in eine Gasse. Zwischen den Tischen und Stühlen der vielen Lokale auf beiden Seiten ist nur ein schmaler Weg frei. Doris hält ihre Tasche fest an sich gepreßt. Vor einem Bistro ergattern sie einen freien Tisch und bestellen Rose und Würstchen mit Sauerkraut.
»Ich dachte, das wäre eher eine deutsche Spezialität«, wundert sich Doris.
»Nein, das gibt es auch bei uns. Besonders im Elsaß und in Lothringen.«
Doris stochert in ihrem Essen herum: »Ein Gutes hat die Sache, mir ist seitdem der Appetit vergangen.«
Nach dem Essen wird ein Schnaps auf Kosten des Hauses serviert. Die beiden Frauen lehnen sich in ihren Stühlen zurück und schauen dem Treiben auf der Gasse zu. Fetzen eines Pianokonzerts wehen herüber.
Marie reckt den Kopf nach vorn und lauscht: »Das hört sich nach Michel Petrucciani an.«
Doris greift nach Maries Hand: »Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß du mir hilfst.«
»Laß’ die Tränen stecken, ich bin auch froh, mit dir zusammen zu sein.«
»Romantik liegt dir wohl fern?«
»Komm, du weißt schon, wie es gemeint ist, trinken wir noch einen Rose?«
»Und wer soll weiterfahren?«
»Ich besitze einen französischen Führerschein und der schließt die Erlaubnis ein, Samstagabends nach dem Genuß von zwei Gläsern Rose ein Fahrzeug zu lenken.«
»Von zwei Karaffen«, verbessert Doris. »Und den Schnaps hast du auch vergessen.«
»Jetzt sei doch nicht so kleinlich, wir sind nicht mehr im pingeligen Deutschland.«
Weit nach Mitternacht fahren sie wieder auf die Autobahn. An einem Rasthaus holt Marie zwei Becher Kaffee. Hinter Nancy geht es über die Route Nationale Richtung Mulhouse. Sie fahren durch die sternenklare Nacht. Die Landschaft wird bergig, und die Luft ist angenehm frisch. Hinter Epinal sind sie allein auf der Straße. Marie folgt den Hinweisschildern nach Gerardmer. Sie hat eine Kassette von Joni Mitchell in den Recorder geschoben.
Kilometerweit fahren sie am dunklen See vorbei. Hinter Gerardmer gelangen sie zu einem zweiten lang gestreckten See. Über den Bergen deutet sich das Morgengrauen am Himmel an. Hinter eingezäunten dunklen Campingplätzen reicht eine große Wiese bis ans Wasser. Dort parkt Marie den Wagen.
Die Schuhe lassen sie im Auto. Der Ufersand klebt an den vom Wiesentau nassen Füßen. Die Wasserfläche ist vollkommen glatt. Schemenhaft sind Boote zu erkennen, die weit entfernt an einem Steg liegen. Marie streift sich das Kleid über den Kopf und legt es über einen Baumstumpf. Den Schlüpfer wirf sie obenauf und watet ins Wasser. Doris zögert noch, dann zieht sie sich ebenfalls aus. Die kleinen Steine in der Uferzone stechen in die Fußsohlen. Sie tastet sich vorsichtig ins Wasser, es ist überraschend kalt. Sie gibt sich einen Ruck und gleitet in Rückenlage ins tiefere Wasser. Unsichtbare Pflanzen streifen ihre Beine, als griffen von unten Arme nach ihr. Plötzlich taucht Marie neben ihr auf.
»Hier sind ganz viele Fische, das sieht aus wie bei Jacques Cousteau!«
»Meinst du, die könnten beißen?« Im klaren Wasser sind kleine Fische zu erkennen, die unbekümmert direkt neben ihnen schwimmen.
»Es ist noch keine Frühstückszeit, außerdem schätze ich die Viecher als Vegetarier ein.«
»Ich kann unter Wasser nicht die Augen öffnen«, Doris schwimmt mit hochgezogenen Schultern und kurzen Armstößen auf der Stelle, dabei ragen ihre Brüste halb aus dem Wasser.
»Komm weiter raus, die Fische sind ganz zahm, sie scheinen Besuch gewöhnt zu sein. Vielleicht steht hier auch ein Schwarm.«
Die Fische scheinen wirklich keine bösen Absichten zu hegen. Doris legt sich auf den Rücken und schließt die Augen. Sie braucht sich nicht zu bewegen, das Wasser trägt sie. Nach einer Weile fühlt sie ihren Körper nicht mehr. Sie ist schwerelos wie ein Astronaut und scheint nur noch aus Gedanken zu bestehen.
Vor zwei Monaten hat sie Robbi nach Süddeutschland begleitet. Sie mußte als seine Alibifreundin bei der Hochzeit von Verwandten herhalten. In seinem Trierer Salon gab es eine Gratisfrisur mit Maniküre. Auf der Hinfahrt in
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