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Akte Mosel

Akte Mosel

Titel: Akte Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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Robbis dunklem Mercedes, mit dem angeblich bereits Adenauer kutschiert wurde, hatte er ihr edlen Schmuck aufgenötigt, um standesgemäß aufzutreten. Wie oft bekamen sie an diesem Tag zu hören, was für ein schönes Paar sie seien. Abends, im Hotelzimmer, gestand er ihr, wenn er sich jemals zu Frauen hingezogen gefühlt hätte, wäre nur sie für ihn in Frage gekommen. Was Leo wohl gerade macht? Schlafen!
    Doris öffnet die Augen und reckt den Kopf aus dem Wasser. Sie schaut zurück zum Wagen, der im ersten Morgenlicht weit entfernt am Ufer steht. Auf mindestens fünfhundert Meter schätzt Doris die Entfernung. Ob ihre Kraft reicht? Marie, die im Atlantik schwimmen gelernt hat, scheint keine Probleme mit weiten Strecken zu haben. Das Wasser beginnt zu dampfen, Nebel steigt auf. Das Ufer verschwindet. Doris’ Atem geht schneller. Ihre Schwimmbewegungen werden hektisch, als wolle sie um sich schlagen.
    Marie schwimmt zu ihr: »Geh’ in Rückenlage, mach’ dich lang!« Sie unterfaßt von hinten ihre Schultern: »Ich habe dich, ganz ruhig, ganz ruhig, ist alles in Ordnung.«
    Doris atmet tief durch und versucht sich treiben zu lassen. Marie hält sie weiter unter der Schulter gefaßt und zieht sie durchs Wasser. Ruhig atmen, ein und aus, ein und aus! Das Ufer ist bald wieder zu sehen. Die letzten Meter schwimmt Doris ohne Maries Hilfe.
    Die Kleider im ausgestreckten Arm vom bibbernden Körper weghaltend, laufen sie zum Wagen zurück.
    *
    In der Tür unter Waldes Wohnung ist das Schlüsselloch immer noch leer. Im Flur zum Garten muß er andere Fahrräder zur Seite schieben, ehe er an seins kommt. Walde verstaut Wasserflasche, Mütze, Notizbuch und Handy in der Gepäcktasche, dazu steckt er einen fensterlosen Briefumschlag, auf dem WaSchupo steht. Darin befindet sich ein unappetitliches Foto der am Donnerstag gefundenen und inzwischen identifizierten Wasserleiche. Stadler von der Wasserschutzpolizei möchte es haben.
    Auf dem Moselradweg ist sonntagsmorgens viel los. Walde überquert die Allee und fährt in die Fußgängerzone. Von weitem läuten die Domglocken zum Hochamt. Die kleinsten und hellsten Glocken machen den Anfang, und nach und nach fallen die größeren und tieferen Glocken ein. Auf dem Hauptmarkt dröhnen sie so laut, daß spätestens jetzt alle Langschläfer im Dombereich aus ihren Träumen gerissen werden. Immer, wenn Walde glaubt, der ganze Turminhalt sei in Bewegung, wird noch eine dickere und dunklere Glocke in Gang gesetzt. Sein Fahrrad ruckelt über das Pflaster des Domfreihofes. Die Glockenorgie erreicht ihren Höhepunkt. In der engen Windstraße scheint sich zwischen den hohen Mauern der Schall zu verdichten. Walde läuft es kalt über den Rücken. Links steht das Tor zum Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum offen. Bis vor wenigen Jahren war hier das städtische Gefängnis untergebracht. Die hohen Hofmauern und die ehemals vergitterten Fenster sind geblieben. Innen ist alles aufwendig renoviert worden. Am Bahnhof kauft er den Spiegel und die MacWelt und verstaut sie in der Satteltasche. In der Metternichstraße fahren Skater mit Walkmans vor ihm her. Vor der Eisenbahnbrücke überholt er sie. Mitten über dem Fluß donnert ein Personenzug an ihm vorbei. Den Radweg trennt nur ein halbhoher Drahtzaun von den Schienen. Walde spürt den Sog des Zuges und das heftige Vibrieren der stählernen Brückenkonstruktion. Am Hafen nimmt er einen Schluck aus der Wasserflasche und setzt eine Mütze auf.
    Die Sonne scheint ihm auf den Rücken, als er die Gerade entlang der Mosel fährt. An der Wallmauer biegt er ab und fährt durch eine Straße mit neuen Einfamilienhäusern. In einigen Gärten spielen Kinder. Wahrscheinlich wissen die meisten Eltern nicht, was hier vor neun Jahren geschehen ist. Sie sind erst viel später in dieses Viertel gezogen. Die uralten Bäume auf dem Friedhof spenden seit Kilometern wieder den ersten Schatten. Walde hebt die Mütze, die Haare sind naß geschwitzt. Er lehnt das Fahrrad an die hohe Friedhofsmauer. Neben der Kapelle wird ein kleines Gräberfeld von Sträuchern gesäumt. Er zündet die Kerze an einer anderen in der Kapelle an und stellt sie auf Nicoles Grab neben die Weihwasserschale mit dem Buchszweig. Das Bild des Mädchens auf dem Grabstein unter der Inschrift Sie war unser Sonnenschein löst die Erinnerung an die schrecklichen Fotos aus, die nach der Tat aufgenommen wurden. Der Täter hatte das Kind mit einem spitzen Gegenstand schrecklich zugerichtet. Danach hatte er

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