Akte Mosel
42 Mann in Handschellen samt Mofas vorführen lassen sollen. Irgendwie im Zuge einer Großeinsatzübung mit zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus Wengerohr. Die hatten es doch schon mal fertiggebracht, bei einer Razzia mehr als 20 Türen einzutreten, von der keine einzige verschlossen war. Hatte wohl der Ausbilder vergessen zu erwähnen, daß man auch die Klinke runterdrücken kann.
Das ist nur eine Sache der Geduld, denkt Walde. Wenn ich ihm jetzt die Knarre an die Schläfe halte und schreie Mofa raus, sonst knallt’s, dauert es genauso lange. Vielleicht macht er sich dann noch vor Schreck in die Hose.
»… der legt sich doch mit jedem an. Mit dem Bürgermeister hat er es auch jahrelang gehabt, zwischendurch alle Nachbarn und jetzt das Fremdenverkehrsamt …«
Walde folgt dem Mann hinter das Haus, wo ein schwarzes Mofa unter einer Terrasse steht.
»Wann haben Sie das Mofa lackiert?« fragt Walde.
»Wieso, das war schon so, als ich es gekauft habe. Hat der liebe Nachbar schon wieder eine Schramme an seiner Butt’ und will es mir anhängen?«
»Danke für Ihre Bemühungen, das war’s schon, schönen Abend noch.« Walde geht mit großen Schritten zurück zum Wagen. Er bemerkt erst jetzt, daß er vor der Ausfahrt des Nachbarn steht. Der bestellt wohl gerade einen Abschleppwagen. Walde würde gerne mal sehen, welcher Abschleppdienst den Mut hat, einen Dienstwagen mit dreitausender Nummer abzuschleppen.
Was ist heute mit ihm los? Walde ist total gereizt. Tante Martha nannte diesen Zustand, er hat ein Gewitter geladen. Er rackert jetzt seit acht Jahren kontinuierlich mit vielen Überstunden und opfert einen Großteil des Urlaubs dem Fall, in den er sich mit der Zeit festgebissen hat. Beißt er sich dabei die Zähne aus?
Im Auto legt er eine Kassette ein: Sade, sie gehört Anna. Er dreht die Musik lauter. Hier anstelle von Paul Denman den Baß zu zupfen, das wäre jetzt genau das richtige. Er hat Hunger und Durst, aber keine Lust, anzuhalten und die Musik abzustellen. Hinter Schweich fährt er Richtung Föhren und biegt am Sauerboor links ein. Unterhalb der Allee zur Kapelle fährt er langsam zwischen den alten Bäumen den Weg hoch. Gegenüber dem Brunnen neben der Kapelle läßt er die Musik an und die Wagentür offen. Am Brunnen fängt er das dünne Rinnsal in seinen hohlen Händen auf und schmeckt das bittere, eisenhaltige Wasser. Hier ist ein Ort der Kraft. Es gibt mehrere solcher Orte im Trierer Raum. Manche waren schon Heiligtümer bei den Treverern, wurden von den Römern übernommen und dann von den Christen besetzt.
Die Gewitterstimmung ist nach dem Döner, den er in Ehrang verzehrt hat, auch bei Walde endgültig verschwunden. Zuhause hat er eine e-Mail aus Belgien.
Kaum zu fassen, das ist jetzt schon Jahre her, daß er bei den Kollegen angefragt hat. Gleich nach Bekanntwerden des Falles Dutroux und den damit zusammenhängenden Ereignissen hatte er alle in Frage kommenden belgischen Kommissariate um Auskunft darüber gebeten, ob es Verbindungen zum Raum Trier geben könne. Um die Dringlichkeit der Anfrage zu unterstreichen, hatte er zusätzlich seine Privatadresse angegeben. Üblicherweise war die Zusammenarbeit mit belgischen Behörden schlecht. Von Zusammenarbeit konnte eigentlich nicht die Rede sein. Das war eher eine Farce, die sich da in Einzelfällen abspielte. Erst kürzlich mußte die Staatsanwaltschaft einen Kriminellen auf freien Fuß setzen, weil die belgischen Kollegen es nicht fertigbrachten, wichtige Beweismittel aus ihrer Asservatenkammer innerhalb von sechs Monaten nach Deutschland zu überstellen.
Die Nachricht kommt aus Neufchâteau, von keiner Behörde. Ein Kollege hat sie mit seiner Privatadresse versehen. Sie ist in Französisch abgefaßt. Er schreibt, soweit es Walde übersetzen kann, es gebe im Rahmen der Ermittlungen gegen die Kinderschänder in seinem Land bisher keine ihm bekannten Fakten, die auf Taten oder Tatbeteiligungen im Raum Trier hindeuteten. Der Kollege gehört der Sonderkommission Neufchâteau an, die alle Fälle von Kindesmißbrauch in Belgien bearbeitet.
Auf dem Anrufbeantworter sind zwei Nachrichten. Die erste ist von Uli. Er lädt ihn zu einer Jam Session des Jazz-Clubs am Donnerstagabend in die Tufa ein. Die zweite kommt von Marie. Sie bittet ihn, falls es ihm möglich sei, vor 20 Uhr zu Doris’ Wohnung zu kommen und Werkzeug mitzubringen. Es ist kurz nach 19 Uhr. Während der Kaffee durch die Maschine läuft, zieht er sich um und wirft ein paar
Weitere Kostenlose Bücher