Akte Mosel
Erst am Boden realisiert sie die Düsenjäger, die über den Wald donnern.
Aus dem abklingenden Fluglärm tönt das Knattern des Crossrades. Doris preßt sich dicht an die Holzstämme. Ihre Faust umklammert den Stock. Das Motorrad kommt näher. Ihr Herz hämmert. Das Rauschen in ihren Ohren wechselt sich mit dem Knattern des Motors ab. Sie sieht durch einen Spalt zwischen den Holzscheiten, wie das Gefährt langsam vorbeirollt. Der Holzstoß bietet nun keine ausreichende Deckung. Wenn er einen Rückspiegel hat, wird sie entdeckt. Für einen Moment schließt sie die Augen, weil sie fürchtet, er könne ihren Blick im Rücken spüren.
Jemand spuckt, Doris hört schnelle Schritte. Es ist eine Gruppe von Läufern, die in raschem Tempo herankommen. Die Jogger, es sind Läufer des Postsportvereins, bleiben bei ihr stehen.
»Ist was passiert?« fragt ein schwarzhaariger, den sie schon öfter hier gesehen hat, es ist wohl der Trainer.
»Ich bin ausgerutscht.« Doris wischt mit den Händen über ihre Hose. »Lauft ihr zurück zum Waldstadion?«
Der Trainer nickt.
»Kann ich mitkommen, bis zum Parkplatz?«
»Klar.«
Die Gruppe nimmt auf der Strecke bis zu Doris’ Auto das Tempo merklich zurück. Als Doris in ihr Auto einsteigt, winkt sie den Läufern zu und schaut sich um. Kein Motorrad ist zu sehen. Auf der Rückfahrt zu ihrer Wohnung läßt sie den Rückspiegel nicht aus den Augen.
*
»Stefan, ich werde einen Versetzungsantrag stellen«, Harry fährt 20 Kilometer über der vorgeschriebenen Geschwindigkeit über die Uferstraße Richtung Feyen – ebenso wie die übrigen Verkehrsteilnehmer.
»Wo willst du denn hin?« Walde blättert in seinem Notizbuch und tippt eine Nummer ins Telefon.
»Nach Bayern, wegen der Ausstattung.«
»Wegen was für einer Ausstattung?«
»Ich meine fahrzeugmäßig.«
»Ach ja, das habe ich auch gelesen, dieser M3 von BMW …«
Harry richtet die Augen zum Wagendach: »321 PS, laß’ dir das mal auf der Zunge zergehen. Da fährt mir keiner mehr davon.«
»Soviel ich weiß, ist der für die bayerische Autobahnpolizei … Schröter, guten Tach, ich hätte gern Ihre Fernmeldestelle, Herrn Kohn, gesprochen.« Walde wartet eine Weile und legt dann auf.
»Wenn du mir sagst, warum du auf einmal Schröter heißt, ziehe ich vielleicht meinen Versetzungsantrag zurück.«
»Ich wollte nur was wissen.«
»Komm, Stefan, du hast bei unserem Spezi angerufen, zu dessen Wohnung wir gerade fahren.«
Walde nickt.
»Ja und, ist er noch am arbeiten?«
Walde nickt wieder.
»So, und warum fahren wir jetzt zu seiner Wohnung, wenn er nicht da ist?«
»Will’ nur was gucken«, sagt Walde.
»Was ist denn in der Asylunterkunft herausgekommen? Darf ich raten, welches Foto identifiziert wurde?«
Walde nickt und verzieht das Gesicht.
»Natürlich, wußte ich doch, dein Meisterwerk, der Mann mit dem Helm. Das bedeutet, auch der Kerl im Neils Park hatte ein Zweirad dabei.«
»Wieder richtig. Also sind wir vielleicht mit dem Mofafahrer auf der richtigen Spur«, sagt Walde.
Sie fahren durch eine Wohnstraße mit Ein- und Mehrfamilienhäusern.
»Es ist die Nummer 18, Harry, parke bitte ein paar Häuser weiter und warte hier, ich bin gleich wieder zurück.« Walde hievt hinter seinem Sitz eine Einkaufstüte hervor und nimmt daraus eine große Sonnenbrille und eine weiße Baseballkappe und setzt beides auf.
»Stefan, was hast du vor, was ist noch in der Tasche, ich habe eine Familie zu ernähren, denke daran.«
»Eben deshalb bleibst du jetzt hier hocken und machst keine Wallung. Sollte Kohn auftauchen, laß’ mein Handy einmal klingeln.«
»Ist gut, ich weiß nur nicht mehr, wie er aussieht.«
»Vielleicht fährt er ein rotes Mofa, du machst das schon.«
Walde dreht sich nach ein paar Metern zum Auto um, Harry schüttelt den Kopf und wirft die Arme hoch.
Das Haus sieht neu aus. Auf dem obersten von drei Klingelschildern steht Kohn. Walde klingelt und nimmt einen kleinen Dietrich aus der Tüte. Mit einem Taschentuch wischt er seine Spuren an Klingel und Tür ab. Im Treppenhaus ist es ruhig. Walde streift sich hauchdünne Handschuhe über. An Kohns Wohnungsschloß muß er sein ganzes Geschick aufbieten.
Die kleine Diele hat fünf Türen. Nur eine ist verschlossen. Walde sucht den Sicherungskasten. Hinter der verschlossenen Tür ist eine Abstellkammer mit Besen, Putzeimer, einem Regal mit Konserven und Schuhen, und da ist auch der Sicherungskasten. Walde dreht alle Schalter um. Er entspannt sich
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