Akte Mosel
ein wenig. Die Räume haben große Fenster. An den Wänden hängt moderne Kunst. Jetzt weiß Walde, wo er den Mann mit dem schütteren Haar gesehen hat, bei irgendeiner Ausstellung in der Kunstakademie oder der Tuchfabrik.
In einem Raum stehen Regale mit Elektronikteilen, auf einem Tisch liegen vor einer Reihe von Meßgeräten Platinen neben Lötkolben und allerlei Kleinkram.
Im Wohnzimmer, von wo eine Tür auf einen begrünten Dachbalkon führt, wird eine Wand ganz von einem Regal eingenommen. CDs, Schallplatten, Bücher, viele Bildbände über Kunst darunter. Die Musikanlage ist vom Feinsten. Ein Kirschbaumsekretär steht in der Ecke. Walde öffnet die mit Intarsien verzierte Klappe. Eine ohrenbetäubende Sirene ertönt. Reflexartig läßt er die Klappe zurückfallen. Der Lärm hört nicht auf. Walde wirft sich auf den Boden. Kein Kabel zu sehen. Entweder wird die Anlage über Batterie oder über Sonnenkollektoren gespeist! Er versucht, den Sekretär von der Wand zu rücken, vergeblich. Auf dem Balkon rotiert ein Blinklicht, scheinbar ist dort eine zweite Sirene in Aktion. Nichts wie weg. Das Treppenhaus ist leer. Er streift sich beim Hinablaufen die Handschuhe ab, steckt sie in die Tüte und zieht den Schirm der Kappe tief in die Stirn.
Mit einem Taschentuch in der Hand öffnet er die Haustür und putzt sich beim Hinausgehen die Nase. Ein paar Kinder haben auf der Straße ihr Spiel unterbrochen und starren zum Dach. Gegenüber gaffen Leute aus den Fenstern. Walde putzt sich weiter die Nase und versucht, langsamer zu gehen.
Als er sich neben Harry auf den Sitz fallen läßt, fährt dieser sofort los. Die Sonnenblenden sind heruntergeklappt, und Harry hat den Telefonhörer ans Ohr gepreßt.
»Mit wem telefonierst du?« fragt Walde, der befürchtet, Harry könne die Schupo rufen.
»Mit deinem Schutzengel und allen anderen guten Geistern, die dich verlassen haben.«
»Mach’ bitte langsam, Harry, nur kein Aufsehen.«
»Dafür hast du ja wohl schon reichlich gesorgt!«
Die Straße endet an einer Wendeplatte.
»Auch das noch!« stöhnt Harry.
Als sie wieder am Haus vorbeifahren, sind noch einige Gaffer hinzugekommen. Harry hält immer noch sein Gesicht hinter dem Telefonhörer versteckt und Walde putzt sich weiter die Nase. Auf der Uferstraße hören sie über Funk, daß eine Streife nach Feyen beordert wird.
*
Das Motorrad wendet. Hat er sie gesehen? Doris preßt sich an die Holzscheite. Das Motorrad heult auf und wird vom Weg ab in ihre Richtung gelenkt. Doris springt auf und weicht zum Ende des Holzstoßes zurück. Zum Weglaufen ist es zu spät. Sie reißt den Knüppel hoch. Die Maschine wird abgebremst und rutscht seitlich auf sie zu. In dem Moment, in dem das Hinterrad an das Holz schlägt, saust ihr Knüppel mit der Kraft ihrer beiden Arme auf den Helm des Fahrers. Von dort rutscht er ab und kracht auf die gepolsterte Schulter. Der Kerl packt den Stock und reißt ihn, bevor Doris loslassen kann, zu sich. Als sie auf die Maschine zutaumelt, trifft sie ein harter Faustschlag ins Gesicht. Ihr Kinn wird hochgerissen, als würde sie von hinten mit Wucht an den Haaren gepackt. Ihr Körper ist gezwungen, ihrem Kopf zu folgen. Hart schlägt sie rückwärts auf eine Wurzel. Ein Schwall Sterne explodiert in ihrem Kopf. Sie rollt sich zur Seite und wird von dem Tritt des Stiefels in der Nierengegend gestreift. Sie versucht, nach dem Peiniger zu treten. Der nächste Schlag trifft sie mit voller Wucht am Oberschenkel. Dann ist der Kerl über ihr. Sie rammt ihm das Knie des gesunden Beins in den Schritt. Das Gewicht des Mannes prallt auf sie. Doris kann sich nicht mehr bewegen. Durch das offene Visier über ihrem Gesicht starren sie zwei blutunterlaufene Augen an. Irgendetwas Nasses rinnt ihr ins Gesicht. Sie versucht, den Kopf wegzudrehen. Er packt ihr Gesicht. Sie bekommt eine Hand frei und greift in das Visier, bleibt an irgendetwas hängen und reißt daran. Der Kerl schreit auf. Dann packt er ihre Hand und klemmt sie zu seinem anderen Handschuh, mit dem er bereits ihren zweiten Arm festhält. Er zückt ein Messer und führt eine blitzschnelle Bewegung von ihrem Bauch hoch zu ihrem Hals. Doris hört etwas aufplatzen und spürt eine Entspannung über ihrer Brust. Ist es ihr Hemd oder hat er ihre Haut aufgeschlitzt? Keine Schmerzen. Der Kerl zieht mit den Zähnen den Handschuh von seiner Hand und reißt die letzten Fetzen ihres Hemdes auf: »Bevor ich dich absteche, will ich aber noch was von dir haben.« Sie
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