Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
eisig, ihre Handflächen waren zerkratzt und blutig, aber sie war vor Entsetzen zu betäubt, um Schmerz zu fühlen. Sie erreichte den letzten Busch. „Zum nächsten Haus?”
„Vorwärts!”
Sie jagten wie ängstliche Kaninchen los, hetzten über die zwanzig Meter Rasen zwischen den Häusern. In der Deckung des nächsten Hauses blieben sie nicht stehen, sondern liefen weiter, vorbei an geparkten Autos und morgendlichen Fußgängern. Fünf Querstraßen weiter tauchten sie in einem Coffee Shop unter. Durch die Fenster betrachteten sie die Straße, sahen jedoch nur typischen Montagmorgenbetrieb: dichten Verkehr, Leute in Mänteln und Schals.
Auf dem Grill hinter ihnen zischte Schinkenspeck. Der Duft von frischem Kaffee zog von der Theke her. Verdammt, warum hatte sie nicht Geld von Jack erbettelt, geliehen oder gestohlen?
„Was jetzt?” fragte sie und hoffte, Victor würde vorschlagen, dass sie ihr letztes Geld für Frühstück ausgaben.
Er suchte die Straße ab. „Gehen wir.”
„Wohin?”
„Hickeys Studio.”
„Oh.” Sie seufzte. Wieder ein langer Marsch mit leerem Magen.
Draußen fuhr ein Wagen mit einem Aufkleber auf der Stoßstange vorbei: Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Himmel, hoffentlich wird das noch besser, dachte sie. Dann folgte sie Victor hinaus in die morgendliche Kälte.
Der Mann, der an Jacks Tür geklingelt hatte, sah aus wie ein Baumstumpf in einem braunen Anzug. Jack öffnete die Tür ganz und sagte: „Tut mir Leid, ich kaufe nichts.”
„Ich verkaufe nichts, Mr. Zuckerman”, sagte der Mann. „Ich bin vom FBI.”
Jack seufzte. „Nicht schon wieder.”
„Ich bin Spezialagent Sam Polowski. Ich suche eine Frau namens Catherine Weaver, ehemals Zuckerman. Ich glaube, sie …”
„Wisst ihr Leute eigentlich nie, wann ihr aufhören müsst?” „Womit aufhören?”
„Einer Ihrer Agenten war heute Morgen hier. Sprechen Sie mit ihm!”
Der Mann runzelte die Stirn. „Einer unserer Agenten?” „Ja, und ich werde mich über ihn beschweren. Ist einfach ohne Durchsuchungsbefehl durch mein Haus getrampelt!” „Wie hat er ausgesehen?”
„Oh, ich weiß nicht! Dunkle Haare, irre Figur.”
„Etwa meine Größe?”
„Größer. Hagerer. Viel mehr Haare.”
„Hat er Ihnen seinen Namen genannt? Das war nicht Mac Braden, oder?”
„Nein, er hat mir keinen Namen genannt.”
Polowski zog seine Dienstmarke hervor. Jack las die Worte: Federal Bureau of Investigation.
„Hat er Ihnen so etwas gezeigt?” fragte Polowski.
„Nein. Er hat nur nach Cathy und einem Typ namens Victor Holland gefragt. Ob ich weiß, wo sie zu finden sind.” „Haben Sie es ihm gesagt?”
„Diesem Kretin?” Jack lachte. „Kein Wort.”
„Ich finde, wir sollten miteinander reden, Mr. Zuckerman. Über ihre Exfrau. Sie ist in großen Schwierigkeiten.” Jack seufzte. „Das weiß ich.”
„Ich kenne selbst noch nicht alle Fakten, aber eine Frau wurde schon umgebracht. Ihre Frau …”
„Meine Exfrau.”
„Ihre Exfrau könnte die Nächste sein.”
Jack betrachtete ihn finster. „Na gut, Polowski, kommen Sie herein. Ich erzähle Ihnen, was ich weiß.”
Das Fenster splitterte. Cathy zuckte zusammen. „Tut mir Leid, Hickey”, murmelte sie.
Victor entfernte die restlichen Scherben. „Siehst du wen?”
Sie blickte in dem Durchgang nach beiden Seiten. „Alles klar.”
Er schob das Fenster hoch. Sie kletterte hindurch und landete zwischen Glasscherben. Sekunden später folgte Victor.
Sie waren in der Garderobe des Studios. Im Vorzimmer fanden sie unterhalb des Briefschlitzes die Post von einer Woche, Kataloge und Reklame. Die Filmrolle, die Cathy am Vortag aufgegeben hatte, war noch nicht dabei.
„Da müssen wir wohl auf den Postboten warten”, sagte Cathy.
Victor nickte. „Scheint sicher zu sein. Hat dein Freund hier etwas Essbares?”
„Ich glaube, er hat nebenan einen Kühlschrank.”
Sie führte ihn in das Atelier, drückte einen Schalter, und zahlreiche Scheinwerfer flammten auf. Victor betrachtete amüsiert die Ansammlung von Hilfsmitteln und Kulissen: eine echte englische Telefonzelle, eine Parkbank, ein Trainingsfahrrad. Auf einem Ehrenplatz stand ein Himmelbett. Die Rüschendecke war viktorianisch, die Handschellen an einem der Bettpfosten waren es nicht.
Victor tippte gegen die Handschellen. „Ein wie guter Freund ist denn dieser Hickey?”
„Dieses Zeug war nicht hier, als er mich vor einem Monat fotografiert hat.”
„Er hat
dich
fotografiert?”
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