Akte X
gewesen, und sie hatte die Zusammensetzung des Bodens unter den Dschungeln Mittelamerikas untersucht – doch als sie ihre Studien fortsetzte, stellte sie fest, daß sie ebensoviel über die alten Maya wußte wie Kelly, der selbsternannte archäologische Experte des Teams.
Gemeinsam gaben sie ein eindrucksvolles Paar ab, dem es schließlich gelungen war, den Verwaltungsrat der University of California in San Diego zu überreden, eine bescheidene Expedition nach Mexiko zu finanzieren. Das Team sollte sich aus Studenten zusammensetzen, die bereit waren, ausschließlich für entsprechende Zeugnisse zu arbeiten sowie für das Recht, spektakuläre Ergebnisse neuer Forschungen unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Mehr als ein Hungerstipendium wurde ihnen dafür nicht gezahlt – ein Fluch, der auf allen Akademikern lastete, überall in der Welt.
Glücklicherweise waren die jungen Wissenschaftler wie durch ein Geschenk des Himmels mit einem ebenso hohen Betrag durch den mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo, in dem die Ruinen von Xitaclan lagen, gesegnet worden. Mit dem mexikanischen Geld hatte Cassandra die Taucherausrüstung anschaffen, die einheimischen Arbeiter anheuern und Fernando Victorio Aguilar bezahlen können... wenn er auch keine sonderlich große Hilfe gewesen war. Bei dem Gedanken an ihren Führer schnaubte Cassandra wütend.
Doch bisher war die Expedition trotz dieser Rückschläge ein Erfolg gewesen, und die Aussichten standen günstig, daß sich das Team dereinst eine ruhmreiche Seite in den Annalen der archäologischen Wissenschaft teilen würde.
Cassandra arbeitete sich tiefer in die Gewölbe vor und diktierte im Gehen eine Beschreibung des Weges in ihr Kassettengerät. Sie fuhr mit den Fingern über die Steinquader, und ihre Stimme zeichnete lauter und leiser werdend – mal feurig vor Begeisterung, dann wieder flüsternd vor Staunen – alles auf, was sie beobachten konnte. Die wundersamen, ineinander verschlungenen Gewölbekonstruktionen der Pyramide des Kukulkan erinnerten sie an das Prinzip der berühmten russischen Holzfiguren – eine in der anderen in der anderen –, und jede davon überforderte ihren Vorrat an Adjektiven.
Plötzlich bemerkte sie im Strahl der Taschenlampe, daß die Wand zu ihrer Linken eine deutlich andere Farbe hatte. Mit wachsender Erregung begriff Cassandra, daß sie auf den inneren Tempel gestoßen war: Dies mußte das ursprüngliche Gebäude sein, auf dessen Grundmauern die Pyramide des Kukulkan errichtet worden war.
Die alten Maya hatten nicht selten größere, eindrucksvollere Tempel über alten Ruinen errichtet, da sie glaubten, an bestimmten Orten konzentriere sich die magische Kraft im Lauf der Zeit immer stärker. Das prachtvolle zeremonielle Zentrum von Xitaclan war das Herzstück aller Rituale an diesem Ort gewesen. Was vor langer Zeit als abgelegene Kultstätte im tiefsten Dschungel seinen Anfang genommen hatte, war schließlich zu einem Magneten der Macht unter den Maya geworden.
Bis ihre Einwohner die Stadt aus unerklärlichen Gründen verlassen hatten... und sie gut erhalten zurückließen, damit Cassandra sie Jahrhunderte später entdecken konnte.
Bemüht um einen langsamem, analytischen Tonfall diktierte Cassandra ihre ersten Eindrücke in den Mikrokassettenrecorder. »Die Steinquader hier sind glatter und sorgfältiger geschnitten. Sie weisen eine leicht reflektierende Oberfläche auf, als ob sie durch äußerst starke Hitze verglast worden seien.« Sie unterbrach sich lächelnd, als sie merkte, daß sie das Gestein mit den Augen einer Geologin statt aus der Sicht einer Archäologin untersuchte.
Vorsichtig ließ sie ihre Hände über die verschmolzene Steinoberfläche gleiten und fuhr mit atemloser Stimme fort: »Normalerweise hätte ich erwartet, Fragmente von Tünche oder Putz vorzufinden, wie sie die Maya verwendeten, um ihre Tempel zu verzieren... aber ich kann keine Farbreste entdecken, nicht einmal Gravuren. Die Wände sind vollkommen glatt.«
Cassandra tastete sich an dem alten Mauerwerk noch tiefer in die Pyramide hinein. Die Luft wurde immer stickiger; sie war seit Jahrhunderten nicht mehr bewegt worden. Als Cassandra niesen mußte, hallte das Geräusch wie eine Explosion durch die Katakomben. Staub rieselte aus den Spalten zwischen den Deckenquadern, und sie hoffte mit klopfendem Herzen, daß die alten Stützbalken halten würden.
»Dies sind offensichtlich die Überreste des ersten
Tempels«, diktierte sie und unterdrückte den
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