Akte X
darin verborgen lagen – den Spuren menschlicher Kultur und Geschichte, die zwischen all den Schichten aus Sedimentgestein und Staub eingeschlossen waren. Sie schien von den seismischen Messungen fasziniert zu sein, die sie in diesem Gebiet vorgenommen hatte – ebenso fasziniert, wie sie von der Perspektive war, das erste Team nach Xitaclan zu führen.«
Der alte Archäologe fuhr sich ratlos durchs schüttere Haar. »Aber es erscheint mir unmöglich, daß sich hier so heftige Erdstöße ereignen.« Er deutete auf die große zentrale Pyramide, von der immer noch ein paar kleine Steine über die riesigen Stufen herabkollerten. »Sie können sehen, daß dieses Gebiet durch und durch stabil ist – wenn es hier öfter zu Erdstößen käme, wären diese Ruinen schon vor Jahrhunderten dem Erdboden gleichgemacht worden. Allein die Tatsache, daß Xitaclan immer noch steht, liefert den Beweis dafür, daß dieses Land von extremer Stabilität ist.«
»Vor ein paar Sekunden hat es sich aber nicht sehr stabil angefühlt, Señor«, murrte Aguilar, der mit weit auseinandergestellten Füßen dastand, als rechne er jeden Moment damit, daß der Boden wieder schwanken und beben würde. Endlich gelang es ihm, sich eine Zigarette zu drehen und sie anzuzünden.
Mulder überschlug die verstreuten Informationen, die er in seinem Gehirn gespeichert hatte, die enormen Mengen von interessanten Kleinigkeiten und Mosaiksteinchen, die er sich im Laufe der Jahre aus Enzyklopädien und Berichten angelesen hatte. Dabei hatte er stets versucht, die Dinge im Gedächtnis zu behalten, die auch nur einen Anflug des Unerklärlichen oder Mysteriösen an sich hatten.
»Die meisten großen Vulkane Mittelamerikas befinden sich im Hochland von Mexiko, direkt am Rückgrat des Landes – aber das Magma sucht sich manchmal seine ganz eigenen Wege. Ein Vulkan namens Paricutin tauchte 1943 ganz plötzlich auf... mitten in einem mexikanischen Maisfeld, das vorher so flach wie eine Tortilla war. Ein Bauer war draußen und pflügte sein Feld, als der Boden unter ihm zu rauchen und zu zittern begann. Neun Jahre lang wuchs der Vulkan unaufhörlich und entlud über eine Milliarde Tonnen Lava und Asche. Er begrub zwei ganze Ortschaften unter sich.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sich mitten im Land auf einmal ein Vulkan aus dem Erdboden erhob?« Scully sah ihren Partner aufmerksam an.
Mulder nickte. »Und während er wuchs, wurde Paricutin von Geologen aus aller Welt beobachtet. Innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden hatte der Vulkan einen siebeneinhalb Meter hohen Aschekegel angehäuft. Nach acht Monaten hatte er ungefähr eine Höhe von vierhundertfünfzig Metern... nicht schlecht für das Alter. Insgesamt bedeckte Paricutin etwa sieben Quadratmeilen der Umgebung mit Lava und Vulkanasche. Seine größte Höhe lag bei über zweitausendsiebenhundert Metern – und das ist erst ein halbes Jahrhundert her... Wer weiß, was sonst noch alles aus dem Boden Mexikos wachsen kann.«
Er blickte von Scully zu Rubicon und dann zu Fernando Aguilar. »Ich jedenfalls schlafe heute nacht lieber angezogen und halte mich fluchtbereit, falls unter unseren Füßen plötzlich ein Vulkan geboren wird.«
»Ein exzellenter Vorschlag, Señor!« Aguilar zog mißmutig an seiner Zigarette.
Scully sah Mulder mit gerunzelten Brauen an, und er wußte, was sie dachte. Ihn beunruhigten dieselben Fragen: Welcher gewaltige Energieausbruch, welche abrupte Erdbewegung konnte diesen Ausbruch vulkanischer Aktivität rings um Xitaclan ausgelöst haben? Und warum ausgerechnet jetzt?
Irgend etwas war hier geschehen. Mulder wußte nur nicht, ob es mit dem Verschwinden von Cassandra Rubicons Team zusammenhing oder ob es nur ein Zufall war.
Er war bereit, an das Unmögliche zu glauben... doch mit solchen Zufällen hatte Mulder seine Schwierigkeiten.
16
Haus von Pieter Grobe, Quintana Roo
Sonntag, 16.30 Uhr
Carlos Barreio nahm an der Einfahrt zu der schloßähnlichen Festung von Pieter Grobe seine Dienstmütze ab und wartete, während die Wache den Chef anrief. Mit der fleischigen Handfläche seiner Rechten strich sich Barreio das dunkle Haar zurück und zwirbelte sich dann seinen dichten, schwarzen Schnurrbart zurecht. Er kam sich vor wie ein Bittsteller am Tor eines mächtigen Barons, doch wenn es nötig war, war er bereit, seinen Stolz zu vergessen – für die Freiheit seines Landes.
In seiner abgenutzten Ledertasche hatte er sorgfältig eingewickelte Maya-Kunstgegenstände aus Jade, antike Relikte,
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