Akte X
mich unvorstellbar, was genau Sie getan haben, um Vergeltung an ihm zu üben... aber es ist nicht zu übersehen, über welch unermeßliche Macht Sie verfügen.« Jetzt standen dicke Schweißtropfen auf Barreios Stirn. »Und ich... ich habe nicht die Absicht, Ihren Unwillen zu erregen.«
Zu Barreios Überraschung lachte Grobe, ein lang anhaltendes Kichern, das man auch als Husten mißdeuten konnte. »Ich freue mich, daß Sie mich so sehr fürchten, Señor Barreio. Es ist wahr, daß die... Zwistigkeiten zwischen mir und Xavier Salida während der letzten Wochen ein wenig eskaliert sind. Aber ich versichere Ihnen, daß ich nichts mit den Ereignissen zu tun hatte, die ihn gegrillt und sein Haus zerstört haben. Ich wünschte, ich wüßte, wie sich eine so verheerende Wirkung erzielen läßt, denn dann müßten mich all meine Rivalen endgültig fürchten.«
Barreio schwankte – aus dem Gleichgewicht geworfen von dieser Neuigkeit. Wenn nicht Grobe, wer hatte dann Salida ausgetilgt? Wer in Mexiko verfügte über eine derartige Macht?
»Man hat mir berichtet, daß Sie und dieser Parasit Fernando Aguilar auch an Salida Maya-Kunst verkauft haben – antike Skulpturen aus einer erst kürzlich ausgegrabenen Ruinenstadt namens...« Grobe legte seinen mageren Zeigefinger an die Lippen, als er nach dem Namen suchte. »... Xitaclan, glaube ich. Viele meiner indianischen Bediensteten, einschließlich unseres Freundes Juan hier« – er deutete mit einem Blick über die Schulter auf den starr dastehenden Wachmann, der seine Waffe immer noch im Anschlag hielt – »glauben, daß auf solchen Stücken ein Fluch lastet und daß sie niemals von ihrem Ruheort hätten entfernt werden dürfen. Die Götter sind erzürnt und werden Rache üben... Wie man sieht. Xavier Salida hat bereits für seine Unbedachtheit bezahlt. Und wie ich vermute, stammen diese Jadestücke, die Sie mir verkaufen möchte, ebenfalls aus Xitaclan? Señor Barreio, ich habe nicht den Wunsch, mir den Zorn der alten Götter zuzuziehen.«
Barreio zwang sich zu einem Lachen und trat unbehaglich von einem Bein aufs andere, während er mit einer der gefiederten Schlangen aus Jade spielte. Seine Augen huschten nervös hin und her, während er versuchte, sich eine neue Taktik zurechtzulegen, eine neue Möglichkeit, die Verhandlungen in Gang zu bringen. Er mußte etwas von dieser Jade verkaufen. Er mußte Geld beschaffen. Was er von seinem Gehalt erübrigen konnte, hatte er bereits gespendet, aber es war schwierig für ihn, als Polizeichef zu arbeiten und gleichzeitig seine wahre Leidenschaft geheimzuhalten – den Kampf für die Unabhängigkeit Quintana Roos.
Ihm erschien es nur angemessen, daß die Schätze der Maya, des Volkes, das in diesem Winkel von Yucatan eine strahlende Zivilisation errichtet hatte, der Grundstein für eine ebenso leuchtende Zukunft waren. Die kostbaren Artefakte würden den Kampf für die Freiheit finanzieren, Barreio und seiner Gruppe von Revolutionären helfen, ein neues und unabhängiges Land zu erobern, und ihnen den Sieg über die korrupte, bankrotte Zentralregierung Mexikos ermöglichen. Wenn es ihnen gelang, würde die Liberacion Quintana Roo einen neuen Heimatstaat ausrufen, in dem die Herrlichkeit der alten Maya neu erstehen konnte.
»Sie scherzen, Exzellenz«, hob er an. »Was für ein Aberglaube! Ein gebildeter Europäer wie Sie wird doch nicht auf irgendein Gerede von verstaubten Flüchen hören?« Er hob seine dunklen Augenbrauen. Sein dichter Schnurrbart sträubte sich und kitzelte ihn an der Nase.
Grobe nahm einen weiteren, gemächlichen Schluck von seinem Limonensaft, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stieß dann einen langgezogenen Seufzer aus. »Meine eigenen Ansichten sind in dieser Sache unwesentlich, Señor Polizeichef Barreio. Wenn die Einheimischen glauben, daß die Skulpturen verflucht sind, dann werde ich niemanden mehr finden, der für mich arbeiten will. Meine Hausbediensteten werden sich fürchten. Sie werden bei Nacht und Nebel verschwinden, und ich werde unendliche Mühe haben, andere zu finden, um sie zu ersetzen... Meine Lebensqualität wird sich verringern.«
Gelangweilt klopfte er mit seiner langen Zigarettenspitze auf die Kante des Stuhls. »Ich genieße mein Leben so, wie es ist, ohne weitere Komplikationen. Ich möchte nicht einmal an die Möglichkeit denken, daß gewisse Anhänger der alten Maya-Religion versuchen könnten, sich an mir zu rächen, sollte ich ihre Reliquien aus falscher Eitelkeit
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