Akte X
Öde auf sie geradezu fremdartig.
Auf der anderen Seite der Ebene erkannte Scully nackte Felswände, die beinah senkrecht in die Höhe ragten und im düsteren Himmel den Blicken entschwanden. Die Klippen schienen sich zu schwindelerregenden Höhen aufzutürmen, und sie wusste, dass sie bald am Ziel sein würden. Sie hatten den Fuß des See Dum Kao gefunden.
»Scully«, flüsterte Mulder so nah an ihrem Ohr, dass seine Wange fast die ihre berührte. »Da drüben.«
Er deutete auf ein gewaltiges, schwarzes Oval, das ihnen direkt in dem kahlen Fels in etwa dreißig Meter Entfernung entgegengähnte. Dort war der Eingang zu einer großen Höhle, genau wie Ganon es beschrieben hatte. Der Anblick war wie ein böses Omen. Die etwas abschüssig liegende Öffnung maß mindestens sechs Meter in der Höhe und war beinah doppelt so breit. Wie ein lebendiger Vorhang hingen Ranken vom Felsen über den dunklen Höhleneingang.
»Sieht verlassen aus«, befand Scully.
»Es muss noch einen anderen Eingang geben«, hielt Mulder dagegen. »Es ist unmöglich, die ganze Ausrüstung auf dem Weg hierher zubringen, den wir gekommen sind.«
»In Ordnung.« Scully wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Sehen wir sie uns an.«
Mit einem kurzen Blick zum Himmel machte sie sich auf den Weg. In wenigen Minuten würde es vollkommen dunkel sein, und sie wären allein, mitten im Nirgendwo, und mussten auf Malku warten, damit sie zurück nach Alkut fanden. Der Gedanke war wenig erfreulich. Andererseits würde die Nacht wenigstens die Hitze des Tages vertreiben und ihnen so ein wenig Erleichterung verschaffen. Und wenn die Höhle so verlassen war, wie es den Anschein hatte, konnten sie dort ihr Lager aufschlagen und warten.
Den felsigen Anstieg hatten sie rasch überwunden, und bald hangelten sie sich an der Klippe entlang der Höhle entgegen. Der See Dum Kao lag rechts von Scully, und er erschien ihr höher und steiler als je zuvor. Wie ein Dolch bohrte er sich tief in den schwarzen Himmel hinein. Unwillkürlich fragte sie sich, wieviel tausend ähnlicher Öffnungen diesen alten Berg wie Pockennarben bedecken mochten und wieviele Meilen unterirdischer Höhlensysteme sich durch das Gestein ziehen mochten.
Langsam schob sie sich näher an den Rand der Öffnung heran. Nur Zentimeter vor ihr hing eine Ranke, und sie streckte die Hand aus und berührte das dicke, grüne Band. Die Außenhaut war mit kleinen Dornen bewehrt, als wäre es ein überlanger Kaktus. Scully sah auf und suchte nach den Wurzeln der Pflanze, doch sie konnte den gewölbten oberen Rand der Höhle nicht mehr erkennen. Vorsichtig streifte sie das Sturmgewehr ab und überreichte es Mulder, ehe sie ihre kleinere Waffe wieder an sich nahm.
Wortlos glitt Mulder zwischen zwei Ranken hindurch in das Innere der Höhle. Als Scully ihm folgte, bemerkte sie die abrupte Luftveränderung. Die Temperatur innerhalb der Höhle war um mindestens zehn Grad niedriger, während die Luftfeuchtigkeit noch höher als draußen war und ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. Feuchter Moosgeruch stieg ihr in die Nase, und sie musste gegen einen Hustenreiz ankämpfen. Ihr war bewusst, dass sie Gefahr liefen, giftige Gase einzuatmen: Kohlenmonoxid, Methan, sogar Zyanide konnten im Zuge natürlicher Zersetzungsprozesse entstanden sein. Doch sie hoffte, dass der Höhleneingang groß genug war, um eine ausreichende Luftzirkulation zu gewährleisten.
Jenseits des Eingangs lag ein ovales Gewölbe, das in der Größe dem Labor unterhalb der Kirche entsprach. Gewaltige Stalagmiten erhoben sich in unregelmäßigen Abständen aus dem rötlichen Schlammboden und ließen ihre eingeschlossenen Kristalle geheimnisvoll in der Dunkelheit funkeln. Einige der Kalksäulen waren beinah fünf Meter hoch und wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Millionen von Jahren alt. Die Decke verlor sich in der Finsternis, dennoch konnte Scully die Spitzen der Stalaktiten erkennen, die wie stumpf gewordene Reißzähne aus der Höhe herabhingen. Auf der anderen Seite dieser natürlichen Halle befand sich eine weitere runde Öffnung, die tiefer in den Berg hineinführte ... In diesem Moment stutzte Scully: Gelblicher Lichtschein flutete über den steinernen Boden aus einer Quelle, die sich irgendwo jenseits dieser Öffnung befinden musste. Scully hatte den Eindruck, dass es sich um künstliches Licht handelte, obwohl es ihr näherliegend erschien, dass reflektiertes Licht durch natürliche Schächte in die Höhle
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