Akte X
fiel. Vielleicht war es dem Mond gelungen, sich gegen die Wolken durchzusetzen, und sein Schein drang nun durch die feinen Ritzen im Gestein.
Mulder berührte sie an der Schulter und deutete an einem der größeren Stalagmiten vorbei auf einen gesäuberten Bereich der gegenüberliegenden Seite. Eine Lichtreflexion erregte ihre Aufmerksamkeit und sie hielt den Atem an. Dort, am unteren Rand der Höhlenwand, befand sich ein großes, rechteckiges Objekt, das aussah, als ob es aus Glas bestünde.
Mulder pirschte näher heran, die automatische Waffe schußbereit auf seinen Armen. Hinter ihm schlängelte sich Scully an dem gewaltigen Stalagmiten vorbei. Als sie sich der Lichtreflexion näherte, erkannte sie einen riesigen Glastank, der sich in Hüfthöhe an der Wand entlangzog. Der Tank war beinahe vier Meter lang und gut einen Meter breit; einige Gummischläuche ragten aus dem Boden hervor und verschwanden in Löchern, die direkt in die Felswand hineinführten.
Während sie neben Mulder stand und den Tank betrachtete, rasten Scullys Gedanken. Das Gefäß war zur Hälfte mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt, die einen herben Geruch verströmte. Salzig und vertraut. Dieses Aroma erinnerte Scully an die vielen tausend Stunden, die sie während ihres Studiums und für das FBI in Laboratorien zugebracht hatte.
»Ringer-Lösung«, sagte sie leise. »Eine biochemische Lösung, die dazu benutzt wird, organische Zellen am Leben zu erhalten. Zellkulturen, Bakterien . . .«
»Auch Transplantationsmaterial?«
Scully zuckte die Schultern. Sie war wie betäubt vom Anblick dieses Tanks. Nun konnte es keine Zweifel mehr geben: Diese gewaltige Höhle war Schauplatz einer medizinischen Forschungsstation; der lange Weg, der in New York seinen Anfang genommen hatte, hatte sie an diesen versteckten Ort in den unzugänglichen Bergen Thailands geführt - begleitet von einem religiösen Kult und einer uralten Legende. Wieder einmal musste sich Scully die bizarre Logik bewusst machen, die hinter all dem steckte. Der Mythos des Gin-Korng-Pew diente lediglich dazu, die Wahrheit zu verschleiern. Schließlich besann sie sich auf Mulders Frage. »Ja ... es ist durchaus denkbar, dass die synthetische Haut in diesem Tank aufbewahrt worden ist.«
»Vielleicht auch nur das Familienschmusetier«, kommentierte Mulder, während er die Hand ausstreckte und kurz in die Flüssigkeit tauchte. Dann zog er die Finger zurück und schüttelte die Tropfen auf den Boden. »Was auch immer da drin gewesen ist, es ist erst vor kurzem entfernt worden
- die Temperatur im Tank ist höher als die Raumtemperatur.«
Er strebte auf den inneren Gang der Höhle zu, und Scully folgte ihm unter höchster Anspannung. Als sie sich dem gelblichen Lichtschein näherten, drangen künstliche, mechanisch erscheinende Geräusche an ihre Ohren, die bald so laut wurden, dass sie sie erkennen konnten. Deutlich hörten sie das rhythmische Pumpen von Beatmungsgeräten, vermengt mit dem Zischen von Infusionspumpen und dem Surren der Computerprozessoren. Als sie den Eingang erreicht hatten, gab sie Mulder mit der Hand ein Zeichen, und die beiden Agenten stellten sich geduckt zu beiden Seiten der Öffnung auf.
Der dahinterliegende Raum war mindestens viermal so groß wie die erste Höhle. Beinah so ausgedehnt wie ein Fußballfeld erstreckte er sich unter der natürlichen Felsenkuppel. Dies war die größte Höhle, die Scully je gesehen hatte. Aus über einem Dutzend gewaltiger Scheinwerfer, die an Stahlpfosten an den Wänden befestigt waren, flutete sanftgelbes Licht den Saal. Und direkt vor Scully standen die ersten leeren Kliniktragen, Reihe um Reihe füllten sie den Raum, soweit das Auge reichte. Fast schien es, als würden die parallelen Reihen, die sich von einem Ende der Höhle zum anderen zogen, niemals enden.
»Sie sind nicht hier«, flüsterte Mulder, während er langsam zwischen den Pritschen hindurchging. »Die Tragen sind leer. . .«
Mitten im Satz brach er ab. Dann deutete er voraus. Dort befanden sich einige Krankentragen, vielleicht zwanzig oder dreißig, die als gesonderte Gruppe nahe der rechten Wand aufgestellt worden waren. Jede dieser abseits stehenden Rolltragen wurde von einem milchigweißen Sauerstoffzelt bedeckt.
Mulder stürzte voran, dicht gefolgt von Scully. Erst als sie das erste Sauerstoffzelt erreicht hatten, verlangsamten sie ihre Schritte. An jedem Kopfende waren medizinische Gerätewagen im Halbkreis aufgestellt worden. Scully erkannte
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