Akte X
Unterton. »Die Drohnen sind lediglich das erste Stadium. Sie sind unfähig, eigenständig zu denken, willige Diener ohne eigenes Bewusstsein, die brav Ihren Anweisungen gehorchen. Aber das nächste Stadium ist weiter entwickelt, nicht wahr? Es ist wertvoller. «
»Davon verstehen Sie nichts«, entgegnete der Chirurg in gelangweiltem, ja, kaltem Ton. »Sie können nicht einmal ansatzweise begreifen, womit Sie es hier zu tun haben.«
Mulder fühlte, wie sein Zorn noch weiter zunahm. »Ich weiß, dass sie diese Männer während der letzten zwanzig Jahre am Leben erhalten haben. Medizinisch erscheint das unmöglich. Also muss die Haut selbst - oder die Chemikalien in dieser Haut - die Ursache für ihr Überleben sein. Sie haben die Haut dazu benutzt, um diese Männer zu verändern . . . um sie vorzubereiten für die heutige Demonstration.«
Mulder verstummte und betrachtete den Patienten auf dem Operationstisch. Dann wanderte sein Blick über die Kameras zu der Sendeanlage an der Wand. Er vermutete, dass diese Anlage über ein Glasfaserkabel mit einer Satellitenschüssel verbunden war, die sich irgendwo hoch oben auf einem der Berge befand. »Intelligente Soldaten... unverwundbare Soldaten. Deshalb erschaffen Sie sie, nicht wahr? Und Sie wollen sie verkaufen. An wen? An das Militär? An eine fremde Regierung? Wer ist dort am anderen Ende der Kameras?«
Eine unmerkliche Anspannung legte sich über das Gesicht des Chirurgen, während seine linke Hand plötzlich in seiner Kitteltasche verschwand. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Kleinkaliberpistole. Mulders Brustkorb verkrampfte sich, und er wich einen Schritt zurück - das kalte Glitzern in den Augen des Mannes ängstigte ihn mehr als die Waffe.
»Es reicht«, sagte der Chirurg leise.
Das war keine Feststellung, es war ein Befehl. Während er dem Arzt in die Augen sah und die Intensität seines kalten blauen Blicks erfaßte, kam Mulder ein wenig erfreulicher Gedanke: Dieser Mann war anders als Julian Kyle. Er mochte ebenfalls die grüne Uniform getragen haben - doch er war nie ein Militarist der alten Schule gewesen. Er war arrogant, egoistisch, kontrollierend, und gewiß kein Mann, der gerne Befehle befolgte. Seine Motive lagen tief in seinem Inneren, waren geprägt von einer persönlichen Besessenheit, getrieben von einem egomanischen Geist. Erneut starrte Mulder die Kameras und den Operationstisch an und erkannte, dass seine Theorie keinen Sinn ergab.
»Es geht überhaupt nicht um Geld.« Mulder betonte jede Silbe. »Die Männer, die Ihre Forschung finanzieren, mögen das glauben, aber es stimmt nicht. Sie jagen etwas anderem hinterher. Etwas weit Wichtigerem als Geld.«
Die fünfundzwanzig Brandopfer in dem großen Saal, die für so viele Jahre am Leben erhalten worden waren, kamen ihm in den Sinn. Dann dachte er an die Drohnen des ersten Stadiums - Männer, die bereits während des Vietnamkriegs hätten sterben sollen, Männer, die noch immer so jung aussahen wie an dem Tag, an dem sie verwundet worden waren. Und in diesem Moment begriff er, dass er und Scully von Anfang an falsche Motive vermutet hatten.
»Unsterblichkeit«, flüsterte er andächtig, und seine Augen weiteten sich. »Unverwundbare Soldaten sind erst der Anfang. Die Haut altert nicht. Die Zeit kann ihr nichts anhaben. Sie ist unsterblich, so wie Gin-Korng-Pew selbst. Das ist es, was Sie wollen, nicht wahr? Unsterblichkeit ...«
Mulder ließ sich nach links fallen, als sich ein Schuß aus der Waffe löste. Er fühlte, wie etwas in seine rechte Schulter schlug und ihn von den Beinen riß. Gleich neben seinem Fuß jaulte ein zweites Projektil in den Boden. Gesteinssplitter flogen durch den Raum. Mulder krabbelte hastig davon, und seine Gedanken überschlugen sich, als er sich wenigstens teilweise hinter dem Operationstisch in Sicherheit brachte. Er wusste nicht, wie schlimm die Schußverletzung war, doch in seiner Schulter breitete sich ein dumpfer Schmerz aus, der sich mit dem Brennen der Schnittwunde in seinem linken Arm
vermengte. Über sich konnte er hören, wie der blauäugige Mann den Tisch umrundete. Während er gegen das Gefühl aufsteigender Panik ankämpfte, kroch er in die entgegengesetzte Richtung davon und schalt sich gleichzeitig für seine Unvorsichtigkeit. Er hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt und zugelassen, dass das Adrenalin in seinen Adern seine Handlungen bestimmte und nicht die nüchterne Überlegung. Nicht einen Augenblick hatte er an die
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