Akte X
Luft hing. »Steroidale Erregung? Scully, er hat das Solumedol schon vor der Operation erhalten, explodiert ist er aber erst Stunden später.«
Scully zuckte die Schultern. »Die Reaktion muss nicht sofort eintreten. Die Neurotransmitter bauen sich im Nervensystem auf. Die Operation könnte die körperliche Reaktion noch verstärkt haben, und als die Wirkung des Anästhetikums nachließ, ist die Psychose voll ausgebrochen.«
Mulder war nicht überzeugt. »Hätte Dr. Bernstein diese Möglichkeit gegenüber Barrett nicht erwähnen müssen?«
Barrett beobachtete sie vom Fenster aus, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. Schließlich hustete sie, wie um Scully und Mulder darauf hinzuweisen, dass sie nach wie vor anwesend war. »Ich würde mich bestimmt erinnern, wenn er das getan hätte. Im Augenblick ist er mit einer Laserbehandlung beschäftigt, aber Sie können ihn gern noch einmal befragen, wenn er fertig ist.«
Scully nickte. Mulder schien die schlichte Erklärung für Stantons Psychose, die Scully so schnell herbeigezaubert hatte, nicht zufriedenzustellen. Während Scully ihm zusah, zog er ein Paar Latexhandschuhe aus der Jackentasche und über seine Finger. Dann legte er, von Barrett mit einem spöttischen Lächeln auf den übergroßen Lippen beobachtet, beide Hände behutsam auf den Infusionsständer.
»Er steckt gut fest. Ich habe zwanzig Minuten versucht, ihn herauszulösen, und ich bezweifle, dass Sie mehr Erfolg haben werden.«
Mulder begegnete der Herausforderung mit einem Lächeln, ehe er sein ganzes Gewicht an den Ständer hängte. Die Muskeln seiner Arme arbeiteten heftig unter den Ärmeln seines dunklen Anzugs, Schweiß rann über seine Schläfen, und die Anspannung schlug sich in seinen Zügen nieder. Eine volle Minute zerrte er an dem Ständer, ehe er keuchend aufgab. »Ich schätze, wir sind beide keine Champions.«
Nach kurzem Schweigen lachte Barrett. Es war ein Geräusch, irgendwo zwischen einem Dieselmotor und dem rasselnden Atem eines Sterbenden. Scully war erleichtert, dass Mulders Charme Barretts feindselige Haltung durchbrochen hatte. Solange sie zusammenarbeiten mussten, würde es gewiß hilfreich sein, wenn sie zivilisiert miteinander umgingen. Scully räusperte sich. »Solange wir auf Dr. Bernstein warten - Sie haben erwähnt, dass Stanton eine Tochter hat. Vielleicht kann sie uns weitere Informationen über Professor Stanton liefern.«
Barrett nickte. »Draußen im Korridor. Das hübsche Ding mit der Fingerfarbe auf dem Hemd. Sie ist schon hier, seit wir sie gestern nachmittag zur Befragung hergebracht haben, und sie weigert sich zu gehen, solange ihr Vater nicht gefunden ist. Gehen Sie vorsichtig mit ihr um, sie ist sehr zerbrechlich.«
Unwillkürlich wanderte Scullys Blick zu Barretts gewaltigen Händen, und sie fragte sich, ob Mulder das gleiche denken mochte wie sie. Unter derartigen Pranken - wer wäre da nicht zerbrechlich?
»Das ist einfach zu viel für mich. Sie müssen mir glauben, er könnte so etwas niemals tun. Nie.« Emily Kysdale starrte in ihren Kaffeebecher, während der Besucherstrom der Cafeteria hinter ihren herabhängenden Schultern vorbeirauschte. Mulder und Scully hatten der relativ anonymen Atmosphäre der Cafeteria den Vorzug gegenüber der Krankenstation gegeben, um der jungen Frau die Chance einzuräumen, außerhalb der direkten Nachbarschaft uniformierter Polizisten mit ihnen zu sprechen.
Emily zitterte furchtbar. Mitfühlend sah Scully die Gänsehaut auf ihren nackten Armen, und sie musste sich des Bedürfnisses erwehren, die Hand auszustrecken und die Frau auf der anderen Seite des Tisches zu berühren, um ihr zu versichern, dass alles wieder gut werden würde. Doch die Wahrheit war, dass nichts wieder gut werden würde. Emilys Vater hatte eine Frau im Alter seiner Tochter ermordet; eine Frau mit einem Kind und einem Ehemann. Selbst wenn eine allergische Reaktion oder eine Geisteskrankheit oder ein unkontrollierbarer psychotischer Schub diese Gewalttat ausgelöst haben sollte, war es doch immer noch ein Mord.
»Mrs. Kysdale«, sagte Mulder mit besänftigender Stimme, während er sich neben Scully setzte. »Wir müssen Ihnen einige Fragen stellen. Ich weiß, dass das schwer für Sie ist, aber wir versuchen, Ihrem Vater zu helfen.«
Scully ahnte die Emotionen hinter der beinahe monotonen Stimme ihres Partners. Sie kannte ihn besser als jeder andere Mensch auf Erden, und sie konnte sich vorstellen, welche Gedanken ihm gerade durch den Kopf
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