Akte X
Karatekämpfer oder eine Mutter, die ihr Kind beschützen wollte.«
Sie gingen um eine scharfe Biegung und folgten dann einem weiteren, gleichartigen Korridor, der sie tiefer in die Station der plastischen Chirurgie hineinführte. Ein vertrauter, antiseptischer Geruch hing in der Luft, und Scully erkannte die Geräusche medizinischer Gerätschaften: das ebenmäßige Pumpen der Beatmungsgeräte, das metallische Piepen der Elektrokardiogra-phen, das vibrierende Surren verstellbarer Krankenhausbetten. Die Klänge riefen eine sonderbare Mischung der Gefühle in ihr hervor; seit sie erwachsen war, hatte sie viel Zeit in Krankenhäusern zugebracht - erst während der Jahre ihrer medizinischen Ausbildung, dann, vor weit weniger langer Zeit, als sie einen beinahe tragischen Kampf gegen den Krebs hatte ausfechten müssen. Als Wissenschaftlerin fühlte sie sich sicher in einer Umgebung, die nach den strikten Gesetzen von Ursache und Wirkung funktionierte. Gleichzeitig konnte sie nicht umhin, dieses Umfeld mit ihrer gerade erst überwundenen Erkrankung zu assoziieren. Während sie an den verschlossenen Türen von einem halben Dutzend Krankenzimmern vorübergingen, fragte sie sich, wie viele Patienten nur wenige Meter von ihnen entfernt einen stillen Kampf führen mochten, beten mochten, das Licht nur eines weiteren Morgens zu erleben.
»Wir sind da«, riß Mulder sie aus ihren Gedanken. »Der Schauplatz des Wunders.«
Scully drückte die Schultern durch, als sie sich den uniformierten Polizisten näherten, die vor dem gelben Absperrband der Polizei Stellung bezogen hatten. Sie zählte drei Männer und zwei Frauen, alle ausgestattet mit den Marken des New York Police Departments. Einer der Polizisten sprach mit einer jungen Frau in Jeans und einem weißen, mit Farbflecken bedeckten T-Shirt. Als Scully und Mulder die letzten Schritte bis zu den Polizisten zurücklegten, blickten diese auf. Rasch zog Scully ihren Ausweis aus der Jackentasche hervor. »FBI. Ich bin Special Agent Dana Scully, das ist mein Partner, Agent Mulder. Wir suchen den Leiter der Ermittlungen.«
Der nächststehende Officer musterte Scully mit dunklen Augen von Kopf bis Fuß. Er war ein großgewachsener Mann, vielleicht einmeterundfünfundneunzig, mit ungepflegtem schwarzen Haar und einer Boxernase. Mit dem Kopf deutete er auf das gelbe Absperrband. Die Tür hinter dem Band war halb geöffnet, und Scully konnte gerade noch den handförmigen Abdruck in der Mitte des Holzes erkennen.
Ohne den Blick von der Einbuchtung abzuwenden, kletterte sie behutsam zwischen den einzelnen Lagen des Absperrbandes hindurch. Als sie das Band anhob, um Mulder den Durchgang zu erleichtern, flüsterte er ihr leise ins Ohr: »Ich bin wirklich neugierig, wie der physikalische Hintergrund dafür aussieht, Scully.«
Scully zuckte die Schultern. »Geben Sie mir einen Computer, ein forensisches Labor und eine Woche Zeit, dann werde ich es Ihnen bestimmt zeigen können, Mulder.«
Im Türrahmen blieben sie stehen. Die großen Bögen gelben Papiers über den zerbrochenen Fensterscheiben zogen Scullys Blick zuerst auf sich. Rechts von dem Fenster erkannte sie ein verbogenes Stahlregal. Direkt davor lag der demolierte Fernseher auf dem Boden. Das verdrehte Krankenhausbett, in dessen deformiertem Stahlrahmen die zerfetzte Matratze steckte, stand in der Mitte des Raumes. Zwei Männer in weißen Overalls beugten sich über die Matratze und sicherten Haare und Fasern. Hinter dem Bett richtete ein weiterer Mann eine Kamera von beeindruckender Größe auf das Infusionsgestell, das noch immer in der Wand feststeckte. Sein Blitz flammte auf wie ein Stroboskoplicht, was der Szenerie eine erschreckende und surreale Aura verlieh, die an einen Quentin Tarrantino-Film erinnerte. Scully war überrascht, dass die Spurensicherung so lange Zeit nach dem Verbrechen noch immer am Tatort war und nach Beweisstücken suchte, ein weiteres Zeugnis für die bizarre Natur des Verbrechens. Das Ausmaß der Zerstörung war genauso, wie Mulder es nach der CNN-Reportage beschrieben hatte, und es sah ganz bestimmt nicht aus wie das Werk eines einzigen Mannes.
Scully fühlte Mulders Hand auf ihrer Schulter und folgte seinem Blick zum Boden vor ihren Füßen. Die mit Kreide gezeichneten Umrisse begannen irgendwo unterhalb einer Ecke des Bettgestells und beschrieben dann einen grausigen Bogen durch einen kreisförmigen Flecken getrockneten Blutes. Teri Nestors Blut.
»Ihren Anzügen nach zu urteilen, nehme ich an,
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