Akte X
nicht, dass ihr Mann noch mehr zu diesem Thema sagte, doch Trowbridge schüttelte den Kopf und wandte sich wieder den Agenten zu. Er schien die Geschichte unbedingt erzählen zu wollen - offenbar hatte er schon zu lange auf eine solche Gelegenheit gewartet. »Der Junge hieß Quo Tien. Die Mutter war eine Prostituierte, die in der Nähe der MASH-Einheit wohnte. Sie starb bei der Geburt, Paladin nahm das Kind bei sich auf und zog den Jungen zwischen seinen verbrannten, gequälten Patienten groß. Wie Sie sich vorstellen können, bekam das dem Jungen nicht sonderlich.«
Mulder war sich nicht sicher, was das heißen sollte. Er wartete darauf, dass Trowbridge weitersprach, doch der große Mann lehnte sich schweigend und mit plötzlich düsterem Gesicht zurück. Er schüttelte den Kopf, als wollte er unerwünschte Erinnerungen vertreiben. »Wie ich schon sagte, das sind alles alte Geschichten. Der Krieg endete, die MASH-Einheit wurde abgezogen. Emile Paladin war gezwungen, seine Forschungen woanders fortzusetzen. Er und sein Sohn verließen Alkut. Und ein paar Jahre später starb er... wie Sie ja wissen.«
Und das ist das Ende der Geschichte, schien Trowbridge hinzufügen zu wollen. Doch etwas in seinen Augen verriet Mulder, dass die Geschichte noch ganz und gar nicht zu Ende war. Er zielte mit seinen Eßstäbchen auf ein weiteres Bällchen aus klebrigem Reiß. »Ein Unfall beim Wandern. Das hat man uns zumindest gesagt.«
»Und das steht auch auf dem Totenschein«, bestätigte Trowbridge leise. »Er stürzte beim Bergwandern in eine tiefe Schlucht. Während des Krieges hatte er oft Ausflüge zum See Dum Kao unternommen. Er war sehr an der Thai-Mythologie interessiert, und in diesen Bergen gibt es viele alte Ruinen. Aber das Gelände kann ziemlich tückisch sein, und nach allem, was ich gehört habe, brach sich Paladin bei einem Sturz das Genick. Als man ihn fand, war sein Körper völlig zerschmettert. . . und von wilden Tieren angefressen.«
Immer noch kniete Rina Trowbridge vor dem buddhistischen Schrein. Plötzlich räusperte sie sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und als sie sich vom Buddha abwandte, zeigte ihr Gesicht keinerlei Regung. In ihren Augen tanzte ein seltsames Licht. »Mein Mann hat Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt. Mein Mann hat Angst. Wir haben beide Angst.«
Das unvermutete Geständnis ließ Mulder die Luft anhalten. Die Spannung hing schwer wie der süße Weihrauch in der Luft, und Trowbridge flüsterte seiner Frau einige beschwörende Worte auf Thai zu. Mulder spürte Scullys mahnende Hand auf dem Arm - doch er konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie kurz vor einer wichtigen Entdeckung standen. »Mr. Trowbridge, wenn Sie in Gefahr sind . . .«
»Es ist nichts«, unterbrach Trowbridge entschieden, mied jedoch Mulders Blick.
»Altweibergeschichten, alberne Märchen, bäuerlicher Aberglaube. Gerüchte . . .«
»Das sind keine Gerüchte«, erklärte Rina Trowbridge mit fester Stimme und trat an den Tisch. »Gin-Korng-Pew ist kein Gerücht.«
Krampfhaft kramte Mulder in seinem Gedächtnis nach der Bedeutung der Worte, aber er hatte sie noch nie zuvor gehört. Er bemerkte, wie Scully an seiner Seite unbehaglich hin- und herrutschte: Sie ahnte, dass sie sich Mulders Lieblingsthema näherten, und sie war nicht glücklich darüber. Ihr Auftrag war es, Andrew Paladin zu finden, und nicht, irgendwelchen Altweibergeschichten hinterherzulaufen. Doch der Ausdruck auf den Gesichtern ihrer Gastgeber verriet Mulder, dass das vermeintliche Gerücht zu wichtig war, um es einfach zu übergehen.
»Es ist eine hiesige Legende«, begann Trowbridge schließlich zögernd, obwohl Mulder erkennen konnte, dass er nicht so skeptisch war, wie seine Worte vermuten ließen. »Sie ist viele Jahrhunderte alt. Gin-Korng-Pew bedeutet wörtlich übersetzt: >Skin Eater<. Es ist der Name einer mythologischen Kreatur, die in einer Höhle am Fuß des See-Dum-Gebirges hausen soll.«
»Der Skin Eater?« wiederholte Scully ungläubig.
»Ich weiß, dass es lächerlich klingt«, meinte Trowbridge und sah sie an. »Aber nach der Legende tauchten vor rund dreihundert Jahren außerhalb der Stadt Leichen auf - ohne Haut. Meistens waren es Landstreicher, manchmal Haustiere, manchmal verschwundene Kinder . . . und alle Leichen waren gehäutet. Ein Kult bildete sich um die mysteriösen Todesfälle - und am Rand der Stadt wurde sogar ein kleiner Tempel errichtet. Die
Weitere Kostenlose Bücher