Akte X
Taschenlampen beleuchtete
den Weg.
„Seien Sie vorsichtig", wurde Mulder von Norman ermahnt, während sie durch den Schmutz
wateten.
„Ganz bestimmt", versuchte Mulder zu scherzen.
„Schließlich will ich ja nicht irgendwo reintreten .. ."
„Oder irgendwo reinfallen", ergänzte Norman.
Dann fügte er hinzu: „Machen Sie sich bereit." Doch es war zu spät. Mulder hatte bereits den
Fehler gemacht und eingeatmet. Der Gestank traf
ihn wie eine Faust in den Magen.
„Man sagte mir, daß es hilft, wenn man nur durch
den Mund atmet", preßte Norman hervor.
„Eine aalglatte Lüge!" keuchte Mulder.
„Möglich ..." Norman richtete das Licht seiner
Taschenlampe auf die Stelle, die die Quelle des
infernalischen Geruchs war.
Dort lag eine Leiche. Mit dem Gesicht nach
unten dümpelte sie halb verwest im Abwasser. Mulder ging auf die Leiche zu. Er mußte sich
zwingen, sie näher zu betrachten. Vielleicht hatte er
schon einmal etwas Schlimmeres gesehen, doch im
Moment konnte er sich nicht erinnern, wann und
bei welcher Gelegenheit. „Wer hat ihn gefunden?"
fragte er.
„Ein Kanalarbeiter. Er war mit einer Routineinspektion des Tunnels beschäftigt. Wer weiß, wann
die Leiche sonst gefunden worden wäre. Hier unten
kommen nicht sehr viele Leute hin."
„Und die Todeszeit?"
„Alles was wir sagen können, ist, daß er hier
schon eine ganze Weile liegen muß . . ."
„Konnten Sie schon herausfinden, wer er ist?" „Nein." Bedauernd schüttelte Norman den Kopf.
„Und sein Gesicht sagt uns auch nicht gerade viel. Die Vorderseite des Körpers ist halb zerfressen.
Möchten Sie vielleicht, daß wir ihn umdrehen?" „Nein", sagte Mulder betont freundlich. „Ihr
Wort genügt mir." Dann drehte er sich abrupt um
und stapfte durch den Tunnel zurück zur Leiter.
„Hey!" rief Norman ihm nach.
Mulder marschierte einfach weiter.
Norman versuchte es noch einmal. „Agent Mulder! Was sollen wir mit der Leiche machen?" Endlich blieb Mulder stehen und wandte sich
halb um.
„Packen Sie sie gut ein und schicken Sie sie an
das FBI!" rief er zurück. „Adressieren Sie das
Päckchen an Assistant Director Skinner, Porto
bezahlt Empfänger."
4
Mulders Magen rebellierte - aber nicht, weil er sich ekelte, sondern weil er wütend war. Er klopfte an eine Bürotür im FBI Hauptquartier in Washington, D. C.
ASSISTANT DIRECTOR WALTER S. SKINNER stand auf dem Namensschild.
Mulder öffnete die Tür und stürmte ins Zimmer
- bis zu dem Tisch, an dem normalerweise Skinners Sekretärin saß. Aber ihr Stuhl war leer.
Während er darauf wartete, daß sie zurückkam, wippte er ungeduldig mit dem Fuß. Er wußte, daß es nicht lange dauern würde.
Diane Jensen war für Assistant Director Skinner mehr als nur eine Sekretärin. Sie hielt es für ihre Aufgabe, alles von ihrem Chef fernzuhalten, was sein Leben auch nur ein bißchen verkomplizieren könnte. Im Rahmen dieser Tätigkeit erachtete sie es als ihre Pflicht, ihren Posten nie länger als zehn Minuten zu verlassen. Sogar ihre Mahlzeiten nahm sie an ihrem Schreibtisch ein.
Eine Minute später öffnete sich die Tür von Skinners Privatbüro, und Ms. Jensen kam heraus. Ihr Blick war so unterkühlt wie immer — insgesamt strahlte sie die Wärme eines Eisbergs im Sommer aus.
Mulder verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten. Er und Ms. Jensen kannten sich schon eine kleine Ewigkeit, und man konnte mit Fug und Recht behaupten, daß sie sich gerade deshalb nicht schätzten. Also kam er direkt auf den Punkt: „Ich will ihn sprechen!"
Ms. Jensens Stimme klang, als hätte sie am Morgen mit Glassplittern gegurgelt. „Es tut mir leid, aber Mr. Skinner kann Sie zur Zeit nicht empfangen. Wenn Sie vielleicht warten wollen?"
Mulder schob sich nur einen Schritt weiter auf den Schreibtisch der Sekretärin zu. „Würden Sie ihm bitte sagen, daß ich hier bin?" verlangte er mit Nachdruck. „Und daß ich ihn sprechen muß. Jetzt, sofort!"
Ms. Jensens Züge erstarrten zu einem Ausdruck der Abwehr, und Mulder konnte fast hören, was sie in diesem Moment von ihm dachte - und von jedem anderen, der es wagte, ihre Autorität in Frage zu stellen. Doch sie hatte auch die Härte in seiner Stimme gespürt und erkannt, daß er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. „Warten Sie einen Moment. . ."
Sie sah Mulder streng an, um sicher zu gehen, daß er nicht an ihr vorbeistürmen würde. Dann öffnete sie die Tür zu Skinners Büro und lehnte sich hinein. „Entschuldigen Sie. Es tut mir leid, daß ich Sie stören
Weitere Kostenlose Bücher