Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
Vom Netzwerk:
Drosdowka ein Dauerthema war.
    »Nein, wer ihn zertrampelt hat, weiß ich selber.« Die Engländerin hob kriegerisch den Finger. »Schwester, Sie brauchen mir nur zu helfen, Beweise zu finden, denn bei uns mag man an eindeutige Dinge nicht glauben.«
    »Was brauchen wir diesen blöden Rasen«, sagte Gerassim vor sich hin, während er die Früchte kunstvoll auslegte. »Der muss gar nicht erst zertrampelt werden.«
    »Die beiden führen seit langem einen Rasenkrieg, Miss Wrigley und der Gärtner«, erklärte der Enkel Pjotr der Nonne und zog vergnügt die rote Nase kraus. »Sie wirft ihm seine Faulheit vor und hat zu pädagogischen Zwecken ein paar Quadratmeter englischen Rasen angelegt, drüben beim Steilufer. Um zu zeigen, wie das Gras im Park aussehen soll. Aber Gerassim will es nicht lernen und hat wohl sogar Sabotage begangen. Jedenfalls hat jemand den kostbaren Rasen vorgestern total zertrampelt.«
    »Sie versündigen sich, Pjotr Georgijewitsch«, sagte Gerassim gekränkt. »Die rasierten Stoppeln mag man nicht mal bespucken, geschweige denn zertrampeln. Man darf die Natur nicht verhunzen, Grünzeug und Bäume sollen wachsen, so wie Gott es will.«
    »Auf Gott beruft er sich!«, kommentierte Miss Wrigley diese Doktrin. »Männer finden doch immer eine Ausrede für ihr Nichtstun.«
    Aber der Wortwechsel blieb lasch und ohne Eifer, und der lange Augustabend bot keinen Anreiz für Erbitterung.
    Nach einer anhaltenden friedlichen Pause sagte die Enkelin Naina plötzlich etwas unpassend:
    »Ja, die Männer sind grausam und frevlerisch, aber ohne sie wäre überhaupt nichts los auf der Welt.«
    Während der Mahlzeit war die junge Frau traurig und in sich gekehrt, beteiligte sich nicht am Gespräch und schien auch gar nicht zuzuhören. Pelagia blickte immer wieder zu ihr hin und versuchte zu ergründen, ob das ihre Natur war oder ob heute etwas Besonderes mit ihr vorging. Vielleicht lag der Grund für ihre sonderbare Entrücktheit in dem Gespräch, das die Nonne vor dem Abendessen teilweise mit angehört hatte? Aber wer war der Mann gewesen, der mit vor Leidenschaft überkippender Stimme gesprochen hatte? Ob er hier mit am Tisch saß?
    Außerdem staunte Pelagia darüber, wie sonderbar die Vorsehung mit den Geschwistern umgegangen war, als sie deren Aussehen ganz verschieden gestaltete. Pjotr, ein noch junger Mann (dem Aussehen nach um die dreißig), hatte schwarze Haare, von der Sonne gebleichte Brauen und Wimpern und einen mehlweißen Teint, von dem sich die große rote Nase grotesk abhob. Bei Naina waren die Farben umgekehrt verteilt: goldblonde Haare, schwarze Brauen und Wimpern, zartrosa Wangen und eine fein gemeißelte Nase mit einem zierlichen Höcker. Sie war eine Schönheit, die zweifellos Männern den Kopf verdrehen und sie zu jeder Wahnsinnstat verleiten konnte. Für Pelagias Geschmack war die eigensinnige Mundkrümmung ein Makel, doch höchstwahrscheinlich brachte just diese gebrochene Linie mehr als alles andere die Männer um den Verstand.
    Naina schien in Drosdowka eine Sonderstellung einzunehmen – der unverständliche Satz, den sie fallen gelassen hatte, zog ein angespanntes Schweigen nach sich, als warteten alle, ob sie noch etwas hinzufügen würde.
    Und das tat sie denn auch, aber sie folgte dabei offenbar einem inneren Gedanken, so dass der Sinn nicht deutlicher wurde: »Liebe ist immer ein Frevel, selbst wenn sie glücklich ist, denn dieses Glück ist mit Sicherheit auf irgendwessen Unglück aufgebaut.«
    Schirjajews Kopf zuckte wie von einem Schlag, Poggio lächelte gequält, und der reiche Sytnikow fragte:
    »Wenn Sie gestatten, wie darf man das verstehen?« Er umfasste den grau melierten rötlichen Kinnbart mit seinen kurzen Fingern.
    »Liebe ohne Verrat gibt es nicht«, fuhr Naina fort, dabei starrte sie mit weit offenen schwarzen Augen vor sich hin. »Denn jeder Liebende verrät seine Eltern, verrät seine Freunde, verrät die ganze Welt um des einen Menschen willen, der dieser Liebe vielleicht gar nicht würdig ist. Ja, die Liebe ist auch ein Verbrechen, das liegt klar auf der Hand . . .«
    »Was bedeutet das – auch?«, fragte Sytnikow achselzuckend. »Was ist das für eine Manier, in Andeutungen zu reden?«
    »Sie will sich interessant machen«, fauchte ihr Bruder. »Sie hat irgendwo gelesen, dass die modernen Fräulein in den Hauptstädten in Rätseln sprechen, und das übt sie nun an uns.«
    In diesem Moment trat Tanja zu Pjotr, um ihm Tee nachzuschenken, und Pelagia sah, dass er ihr

Weitere Kostenlose Bücher