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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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gehört: originell, subtil, feiner als Raffael, viel feiner. Und sofort zu erkennen: talentiert, bitte die Unbescheidenheit zu entschuldigen, aber nicht ge-ni-al.« Er dehnte die Silben. »Darum habe ich die Malerei aufgegeben – Talent, doch kein Genie. Jetzt mache ich photographische Bilder, und man sagt, sie sind gut. Zeugen von Talent. Aber das macht nichts, Genies gibt‘s noch nicht in der photographischen Kunst, und Raffael steht mir nicht im Licht.« Poggio lachte unfroh. »Aber Stepan hier, mit dem ich in der Akademie studiert hab, war auf dem Weg zum Genie. Du hättest das Malen nicht aufgeben sollen, Stepan. Ich habe gesehen, wie du neulich ein kleines Aquarell gemacht hast. Mit der Technik ist es nicht weit her, aber kühn, kühn. Solche Sachen bringen jetzt in den Pariser Salons viel Geld, und du warst schon vor zwanzig Jahren so weit. Sag mal, als du nach so vielen Jahren wieder zum Pinsel gegriffen hast, hat da nicht dein Herz frohlockt?«
    Stepan Schirjajew antwortete mürrisch und widerwillig, mit gesenktem Blick:
    »Frohlockt oder nicht, ist doch egal. Das Aquarell hab ich einfach so gemalt, hatte sonst nichts zu tun. Heu haben wir schon gemacht, und für Getreide ist es noch zu früh. Eine Verschnaufpause . . . Wozu Vergangenes aufrühren. Es hat sich so ergeben, also gut. Talent, Genie, alles dasselbe. Man muss die Sache tun, die einem obliegt. Und je eifriger, desto besser.«
    Pelagia hatte den Eindruck, dass Schirjajew über Poggio verärgert war, und den schien die Abfuhr ein wenig zu entmutigen.
    Um dem Gespräch eine scherzhafte Wendung zu geben, wandte er sich der Nonne zu und fragte mit übertriebener Ehrerbietung:
    »Und was meint die heilige Kirche zum Thema Genie und Talent?«
    Das Gespräch interessierte die Nonne, und die Kontrahenten gefielen ihr, darum wich sie nicht aus.
    »Was den Standpunkt der Kirche angeht, da sollten Sie lieber einen Würdenträger fragen, doch nach meinem bescheidenen Verständnis besteht der Sinn des irdischen Lebens darin, das Genie in sich zu entdecken.«
    »Das soll der Sinn sein?«, fragte Poggio verwundert. »Nicht Gott? Sie trauen sich ja was, Schwester.«
    »Ich meine, in jedem Menschen ist ein Genie verborgen, eine kleine Öffnung, durch die Gott zu sehen ist«, erklärte Pelagia. »Doch nur wenigen gelingt es, sie zu entdecken. Die meisten Menschen tappen herum wie blinde Kätzchen und finden sie nicht. Und wenn doch einmal das Wunder geschieht, begreift der Mensch sofort – das ist es, wozu ich auf die Welt gekommen bin, und er lebt ruhig und selbstsicher weiter, ohne andere zu fragen. Das eben ist Genie. Talente kommen bedeutend öfter vor. Das sind die Menschen, die das verwunschene Fensterchen nicht gefunden haben, ihm aber ganz nahe sind und vom Widerschein des wundersamen Glanzes leben.«
    Um besser zu überzeugen, schwenkte sie die Hand gen Himmel, doch so ungeschickt, dass sie mit dem weiten Ärmel eine Tasse umriss und Kirill Krasnow das Hosenbein verbrühte.
    Der Ärmste hüpfte auf einem Bein, so heiß war das. Hüpfte, stöhnte und sprach dazu:
    Und die Nonne von Schemacha
sprach zum Zaren voller Tücke:
»Koch dich bei lebend’gem Leibe
und zerlege dich in Stücke.«
    Pelagia wäre vor Scham am liebsten in die Erde gesunken, sie brach fast in Tränen aus. Außerdem konnte sie nicht zu Ende sprechen, so laut lachten alle.
    Schirjajew freilich hätte das Gespräch gern fortgesetzt, er sah die Nonne aufmerksam an und fragte:
    »So also denken Sie über das Genie?«
    Aber Frau Tatistschewa, die sich bei der theoretischen Diskussion weidlich gelangweilt hatte, warf rücksichtslos ein:
    »Mütterchen, anstatt zu theoretisieren und die Leute zu verbrühen, sollten Sie lieber baldigst herausfinden, wer Saguljai und Sakidai vergiften wollte.«
    Soeben kam der Gärtner Gerassim vom Park herein und brachte eine Schale mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen. Sein Erscheinen hatte auf Miss Wrigley, die bislang teilnahmslos Pajitos geraucht hatte, eine überraschend belebende Wirkung.
    »Was haben Sie bloß dauernd mit Ihren Bulldoggen! Das sind verfressene Geschöpfe, die ewig im Park rumlaufen und das auch schon dem kleinen Baby beibringen. Und überall lauter Unrat im Park! Gestern habe ich mit eigenen Augen eine krepierte Krähe gesehen, wirklich wahr! Sie, liebe Schwester, sollten lieber herausfinden, wer meinen Rasen so zertrampelt hat.«
    Am Tisch ein Seufzen und Stöhnen, und Pelagia begriff, dass Miss Wrigleys Rasen bei den Ureinwohnern von

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