Akunin, Boris - Pelagia 01
ist eine fröhliche, südliche Stadt mit freien Sitten. Dort können Sie machen, was Sie wollen. Wenn Sie malen wollen, besorg ich Ihnen die besten Lehrer, andere als Ihr Poggio. Wenn Sie Schauspielerin werden wollen, schenke ich Ihnen ein Theater. Sie können dann selbst bestimmen, welche Stücke gespielt werden, Sie können die besten Schauspieler engagieren, sogar aus Petersburg, und sich die schönsten Rollen aussuchen. Mein Geld reicht für alles. Und als Mensch bin ich anständig und zuverlässig und nicht so verbraucht wie Ihr jetziger Erwählter. Das ist es, was ich Ihnen zu sagen habe.«
Naina hörte sich diese unglaubliche Rede bis zu Ende an, ohne ihn zu unterbrechen. Einen wie Sytnikow zu unterbrechen würde sich auch nicht jeder getraut haben, der war eine zu starke Persönlichkeit.
Aber als er verstummte, lachte das Fräulein. Nicht laut, doch so sonderbar, dass es Pelagia kalt über den Rücken lief.
»Wissen Sie, Donat Abramowitsch, wenn mein Plan, wie Sie sagen, tatsächlich platzt, gehe ich lieber ins Wasser als mit Ihnen. Aber er wird nicht platzen. Hier tun sich ja Abgründe auf, dass einem die Luft wegbleibt. Ich habe es satt, wie eine Stoffpuppe behandelt zu werden, an der jeder herumzerrt. Ich will mein Schicksal selber in die Hand nehmen. Und nicht nur meins. Wenn leben, dann aus dem Vollen. Nicht als Sklavin, sondern als Herrin!«
Wieder knarrte das Leder – Sytnikow war aufgestanden.
»Was Sie da reden, verstehe ich nicht. Ich sehe nur, Sie sind nicht ganz bei sich. Darum gehe ich. Denken Sie über meine Worte nach, sie sind ernst gemeint.«
Die Tür ging auf und schloss sich wieder, aber Naina blieb noch. Fünf Minuten lang, vielleicht auch länger, hörte Pelagia untröstliches Schluchzen und konzentriertes Schniefen. Dann ein Flüstern, halb böse, halb leidenschaftlich.
Die Nonne horchte und verstand:
»Dann ist er eben eine Ausgeburt, und wenn schon. Ganz egal . . .«
Sobald es möglich war, ging Pelagia hinaus in den Korridor, um in ihr Zimmer zu gelangen. Unterwegs schüttelte sie sorgenvoll den Kopf.
Aber bevor sie ihr Zimmer erreichte, lief ihr Tanja über den Weg. In der einen Hand trug sie ein Bündelchen, mit der anderen zog sie an der Leine Sakussai hinter sich her, der sich mit allen vier Pfoten sträubte.
»Mütterchen«, sagte sie erfreut, »wollen Sie nicht mitkommen? Frau Tatistschewa ist eingeschlafen, und ich gehe ins Dampfbad, ich hab’s schon am Morgen geheizt. Sie waschen sich, und ich bleib derweil bei dem Hund. Hinterher passen Sie auf ihn auf. Das würde mir sehr helfen. Ich kann ihn schließlich nicht in den Waschraum mitnehmen. Er lässt mir auch so schon keine Ruhe, die sabbernde Missgeburt.«
Pelagia lächelte freundlich und willigte ein. Zumindest im Dampfbad würde sie niemanden beobachten und belauschen müssen.
Das Dampfbad befand sich hinter dem Haus – eine geduckte Blockhütte aus bernsteingelben Kiefernbohlen mit winzigen Fensterchen unterm Dach. Aus dem bauchigen Schornstein stieg weißer Rauch.
»Wasch dich nur, ich bleibe hier«, sagte die Nonne, setzte sich in dem kleinen sauberen Vorraum auf das Bänkchen und nahm den Welpen in den Arm.
»Ich danke auch schön, Sie helfen mir sehr, ich lauf mir die Hacken ab, bin ganz verschwitzt und komm nicht zum Waschen oder zum Baden im Fluss«, schnatterte Tanja, während sie sich flink auszog und die zum Knoten gebundenen blonden Haare löste.
Pelagia betrachtete wohlgefällig die wie gemeißelte Figur des Mädchens. Eine Artemis, Herrin des Waldes, fehlt nur noch der Köcher mit Pfeilen über der Schulter.
Kaum war Tanja hinter der Tür des Waschraums verschwunden, tönte draußen ein leichtes Pochen.
»Tanja, Tanja«, flüsterte eine Männerstimme durch den Türspalt. »Mach auf, Herzblättchen. Ich weiß, dass du da drin bist. Ich hab dich mit dem Bündel gesehen.«
Sollte das Krasnow sein? Pelagia stand verwirrt auf, ihre Kutte raschelte.
»Ich höre dein Kleidchen rascheln. Zieh’s nicht an, bleib, wie du bist. Mach auf, niemand kann es sehen. Gönnst du es mir nicht? Davon fällt dir kein Stein aus der Krone. Ich habe dir zu Ehren ein Gedicht gemacht. Hör zu.
So wie die Wolke voller Nass
als Regen auszufließen trachtet,
so wie der gelbgesicht’ge Mond
der Erde in die Arme schmachtet,
so schaue ich voller Verlangen
der hübschen Tanja ins Gesicht,
bin seit dem siebenten Dezember
auf ihre Küsse stets erpicht.
Siehst du, ich habe mir den Tag gemerkt, an dem wir Schlitten
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