Akunin, Boris - Pelagia 01
gefahren sind. An dem Tag habe ich dich lieb gewonnen. Lauf nicht mehr vor mir davon, Tanjuscha. Pjotr wird dir keine Gedichte schreiben. Mach auf, ja?«
Der Anbeter horchte ein Weilchen und fuhr dann drohend fort:
»Mach endlich auf, sonst erzähl ich Pjotr Georgijewitsch, wie du neulich mit dem Tscherkessen, ich hab’s gesehen! Dann redet er dich nicht mehr mit Sie an! Auch Marja Afanassjewna erzähl ich’s, dann jagt sie dich Flittchen vom Hof. Mach auf, sag ich!«
Pelagia riss mit einem Ruck die Tür auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
Kirill Krasnow, der Nachbar, in weißer Tolstoi-Bluse und Strohhut, stand mit ausgebreiteten Armen auf der Schwelle, die Lippen gespitzt im Vorgeschmack des Kusses. Die blassblauen Augen klapperten verwirrt.
»Oi, Mütterchen, Sie . . . Warum haben Sie sich nicht gleich zu erkennen gegeben? Wollten Sie mich zum Gespött machen?«
»Das kann manch einem nicht schaden«, antwortete Pelagia streng.
Krasnow blitzte sie an mit einem Blick, in dem keine Spur der sonst üblichen kindlichen Naivität mehr war. Er drehte sich um und verschwand hinter der Ecke des Badehäuschens.
Wahrlich ein Schlangennest, dachte Pelagia.
Nach dem Dampfbad schlenderten sie in gelöster Stimmung durch die abendliche Kühle, das nasse Haar straff mit einem Tuch umwunden. Sie hatten auch Sakussai gewaschen, trotz seines Kläffens und Jaulens. Er war jetzt noch weißer, und die kurzen Fellhaare standen gesträubt wie bei einem Entenkücken.
Vor dem Pferdestall hielt eine staubbedeckte schwarze Kutsche. Ein finsterer schwarzbärtiger Mann in einem schmutzigen Tscherkessenrock, eine runde Filzmütze auf dem Kopf, schirrte die Rappen ab.
Tanja griff nach Pelagias Ellbogen und hauchte mit ersterbender Stimme:
»Er ist gekommen . . . Herr Bubenzow ist da.«
Dabei blickte sie wie verzaubert dem Schwarzbärtigen nach, der eines der Pferde in den Stall führte.
Pelagia musste an die Drohung Krasnows denken und sah ihre Begleiterin genauer an. Deren Gesicht hatte einen entrückten Ausdruck, die Pupillen waren geweitet, die vollen rosa Lippen leicht geöffnet.
Der Tscherkesse blickte nur kurz zu den beiden Frauen. Er grüßte nicht, nickte nicht – er führte das zweite Pferd am Zügel.
Tanja ging langsam zu ihm, machte eine Verbeugung, sagte leise:
»Guten Tag, Murad Dshurajewitsch. Wieder mal bei uns?«
Er antwortete nicht. Stand da, blickte mürrisch zur Seite, wickelte den gemusterten Zügelriemen um das breite behaarte Handgelenk.
Dann ging er wieder zu der Kutsche, fegte den Staub ab.
Tanja ging ihm nach.
»Sie sind bestimmt müde von der Fahrt? Möchten Sie kalte Milch? Oder Kwass?«
Der Tscherkesse drehte sich nicht um, zuckte nicht mal mit der Schulter.
Pelagia seufzte nur und ging kopfschüttelnd weiter.
»Ihre Sachen sind ganz schmutzig«, hörte sie hinter sich Tanjas Stimme. »Ziehen Sie sie aus, ich wasch sie Ihnen. Bis morgen ist alles trocken. Bleiben Sie über Nacht?«
Schweigen.
An der Haustür drehte Pelagia sich um und sah, wie Bubenzows Kutscher, noch immer mit finsterer Miene, zum offenen Tor des Pferdestalls ging und Tanja an der Hand hinter sich herzog – so wie eben das Pferd. Das Mädchen folgte ihm gehorsam mit raschen Trippelschritten, und hinter ihr ging ebenso gehorsam an der Leine Sakussai.
Vor dem Schlafgemach der Generalswitwe stand demütig ein grauhaariger, doch noch nicht alter Mann mit zerknittertem lächelndem Gesicht und extrem langen Armen; er trug einen bis oben zugeknöpften schwarzen Gehrock und eine vorsintflutliche schwarze Hose, die an den Knien blank gewetzt war. In den gefalteten Händen hielt er ein ziemlich dickes Gebetbuch.
»Segnen Sie mich, Mütterchen!«, rief er mit dünnem Stimmchen, als er der Nonne ansichtig wurde, und vertrat ihr den Weg. »Ich bin der Tichon Jeremejewitsch Selig, ein unwürdiger Wurm. Erlauben Sie mir, Ihr heiliges Händchen zu küssen.« Schon streckte er seine zupackende Pranke aus, doch Pelagia nahm ihre Hand hinter den Rücken.
»Das dürfen wir nicht«, sagte sie und musterte den Frömmling. »Die Klosterregel verbietet’s.«
»Nun, dann ohne Handkuss, segnen Sie mich nur mit dem Kreuzeszeichen«, stimmte Selig sogleich zu. »Auch dieses wird mir eine Wohltat sein. Bitte verweigern Sie es mir nicht, denn es steht geschrieben: › Ekle dich nicht vor meinen sündigen Geschwüren, sondern lindere sie mit dem Salböl deiner Gnade. ‹ «
Nachdem er den Segen erhalten hatte, verbeugte er sich tief,
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