Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
Vom Netzwerk:
darauf aus, jemanden zu belauern oder zu belauschen, gleichwohl wurde sie immer wieder gegen ihren Willen Zeugin unverständlicher Szenen und undurchschaubarer Konflikte zwischen den hiesigen Einwohnern.
    Am dritten Tag schlenderte Pelagia morgens aufs Geratewohl zwischen den Bäumen, blinzelnd gegen das durchs Laub sickernde Sonnenlicht, und sah plötzlich vor sich eine Lichtung, darauf saßen, den Rücken zum Gebüsch gekehrt, Schirjajew und Poggio. Beide trugen einen breitkrempigen Hut und einen langen weiten Kittel und hatten ein Skizzenbuch vor sich. Die Nonne rief sie nicht an, um sie nicht zu stören, aber einen neugierigen Blick wollte sie riskieren, besonders nach dem, was tags zuvor über die Begabung Schirjajews gesagt worden war.
    Pelagia stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals. Sie sah bei Poggio, in Aquarell skizziert, die alte Eiche am anderen Rand der Lichtung, die war erstaunlich gut getroffen – die reinste Augenweide. Die Arbeit Schirjajews jedoch war leider eine Enttäuschung. Die Farben waren aufgetragen, wie es gerade kam: nicht zu erkennen, ob es sich um eine Eiche oder einen Waldschrat mit übergroßem zerrauftem Schädel handelte. Obwohl Poggios sorgfältig gearbeitetes Bild der Nonne gefiel, fand sie Schirjajews Gekleckse viel interessanter. Insgesamt war es eine rührende Szene: Alte Freunde widmeten sich ihrer Lieblingsbeschäftigung und sprachen auch gar nicht miteinander, da sie von ihrer Kunst und voneinander alles wussten.
    Plötzlich machte Schirjajew eine besonders schwungvolle Handbewegung, und der Pinsel sprühte einen Regen grüner Spritzer auf die Skizze.
    »Das ist ja nicht auszuhalten!«, schrie Schirjajew den Freund an. »Sich verstellen, das Spiel von Licht und Schatten diskutieren, von der Natur reden – wie ich dich hasse! Has-se!«
    Poggio drehte sich ebenso heftig ihm zu, und die beiden ähnelten plötzlich zwei Kampfhähnen vor dem Duell.
    Pelagia erstarrte und hockte sich erschrocken hin. Es wäre schmählich, ertappt zu werden.
    Von da an sah sie nicht mehr hin, sondern horchte nur noch – notgedrungen, denn sie fürchtete zu rascheln, wenn sie zurückwich.
    »Du warst mit Naina zusammen?«, fragte Schirjajew. »Gib’s zu, du warst?«
    Das Wort »warst« klang so bedeutungsvoll, dass Pelagia errötete und ihre Neugier auf die Skizzen sehr bereute.
    »So was fragt man nicht, und so was gibt man nicht zu«, antwortete Poggio im gleichen Ton. »Das geht dich nichts an.«
    Schirjajew schnappte nach Luft.
    »Du bist ein Zerstörer, ein Satan! Du beschmutzt und verdirbst alles nur mit deinem Atem! Ich liebe sie seit vielen Jahren. Wir haben miteinander geredet und geträumt. Ich habe ihr versprochen, dass . . . sobald ich frei bin, fahre ich mit ihr nach Moskau. Sie wird Schauspielerin, ich male wieder, und wir lernen das Glück kennen. Aber sie will nicht mehr Schauspielerin werden!«
    »Dafür will sie jetzt Malerin werden«, spottete Poggio. »Jedenfalls wollte sie es bis vor kurzem. Was sie jetzt will, weiß ich nicht.«
    Schirjajew hörte nicht hin, er schrie Zusammenhangloses, das sich in ihm angestaut hatte.
    »Du bist ein Lump. Du liebst sie ja gar nicht. Wenn du sie liebtest, würde es mir wehtun, aber ich würde es hinnehmen. Aber du betreibst es nur aus Langeweile!«
    Krachend zerriss Stoff. Pelagia bog mit den Armen die Büsche auseinander, sie fürchtete Mord und Totschlag. Viel fehlte nicht. Schirjajew hatte Poggio mit beiden Händen am Kragen gepackt.
    »Ja, aus Langeweile«, knirschte der mit gepresster Stimme. »Anfangs. Jetzt habe ich den Kopf verloren. Aber sie braucht mich nicht mehr. Vorige Woche hat sie mich noch angefleht, sie nach Paris mitzunehmen, sprach von einem Mansardenatelier mit Blick auf den Boulevard des Capucines, von Sonnenuntergängen an der Seine. Und plötzlich ist alles anders. Sie benimmt sich unbegreiflich. Und ich verliere den Verstand. Gestern . . . gestern habe ich zu ihr gesagt: › Gut, fahren wir. Zum Teufel mit allem. Von mir aus – Paris, Mansarde, Boulevard, ganz wie du willst. ‹ – Lass los, ich krieg keine Luft.«
    Schirjajew lockerte den Griff, fragte gequält:
    »Und sie?«
    »Gelacht hat sie. Ich . . . ich war ganz außer mir. Ich habe ihr gedroht. Es gibt da ein Mittel . . . Du brauchst das nicht zu wissen. Später erfährst du’s, dann ist sowieso alles egal.« Poggio lachte abstoßend. »Oh, ich weiß genau, was da vorgeht. Ich und du, Stepan, wir zählen nicht mehr, wir haben den Abschied

Weitere Kostenlose Bücher