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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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die vorhergehende an Aberwitz.
    Die letzte war schon gänzlich außerhalb des gesunden Menschenverstandes.
    »Kirill Krasnow«, sagte Frau Tatistschewa scharf akzentuiert, als Tanja die Nonne wieder einmal ins Schlafzimmer brachte. »Er ist tückisch, eine Bestie, spielt aber den Narren. Wieso trabt er jeden Tag hier an? Geld will er von mir. Im Herbst kommt sein Gut unter den Hammer mitsamt seinen wunderbaren Telegraphen. Er sagt: › Dann sterbe ich. ‹ Und das wird er auch, ganz bestimmt. Was soll er machen ohne sein Gut Krasnowka? Er läuft rum und jammert. Bittet um anderthalbtausend, die er an Zinsen bezahlen muss. Ich habe ihm gesagt, von mir kriegt er sie nicht. Schon mehr als einmal habe ich ihm was gegeben. Jetzt reicht’s. Und nun will er sich an mir rächen. Bestimmt denkt er: Wenn ich sterben muss, braucht auch die alte Hexe nicht mehr zu leben.«
    Pelagia redete der Leidenden ins Gewissen, damit sie, falls sie denn wirklich aus dieser Welt schiede, nicht die Sünde solcher Verbitterung mitnehme:
    »Marja Afanassjewna, und wenn Sie Kirill Nifontowitsch vielleicht doch das Geld leihen, damit er sich beruhigt? Was bedeuten Ihnen schon die anderthalbtausend? Ins Jenseits können Sie sie nicht mitnehmen, dort brauchen Sie kein Geld.«
    Dieses schlichte Argument überzeugte die Witwe.
    »Ja, ja«, murmelte sie, sah den schlafenden Sakussai an, und ihr Blick wurde milder. »Was soll ich damit, Miss Wrigley kriegt sowieso alles. Ich geb’s ihm. Soll er noch ein Jährchen strampeln. Ich gebe ihm zweitausend.«
    »Das mit dem Testament ist auch nicht gut«, fuhr die Nonne, von dem Erfolg ermutigt, fort. »Miss Wrigley ist gewiss eine würdige Frau, aber Pjotr und Naina gegenüber ist es unrecht. Die können schließlich nichts dafür, dass sie von Ihnen zum Müßiggang erzogen wurden und keinen Beruf erlernt haben. Sie müssten dann ohne Erbteil durch die Welt gehen. Und vor Ihrem Gutsverwalter müssten Sie sich im Jenseits schämen. Der hat seine besten Jahre für Sie geopfert. Sie haben selber gesagt, dass er Ihr Vermögen beträchtlich gemehrt hat. Wäre das nicht eine Sünde?«
    »Ja, Mütterchen«, gestand die Witwe kläglich. »Sie haben Recht. Ich habe mich ereifert. Ich muss ja nicht nur meine Enkel bedenken, sondern auch noch andere Verwandte. He, Tanja! Sie soll zu mir kommen . . . Tanja, lass Korsch aus der Stadt holen. Ich will, dass er kommt und das Testament ändert.«
    Wenn Pelagia nicht im Schlafzimmer der Generalswitwe saß, ging sie meist im Park spazieren. Sie verbrachte nicht wenig Zeit in der Bretterbude am Steilufer. Hier lagen, blau lackiert, Hacken, Spaten, Sägen, Harken, Hackmesser und sonstiges Gartengerät von Gerassim. Von hier hatte der unbekannte Verbrecher das Beilchen geholt. Pelagia las vertrocknete Erdklümpchen vom Fußboden auf, zerrieb sie zwischen den Fingern und kroch auf allen vieren um die Hütte herum, fand aber keine Anhaltspunkte. Die Hütte war nie verschlossen, das Beil hätte jeder nehmen können, und weder außen noch innen gab es irgendwelche Spuren. Blieb nur, die weiteren Ereignisse abzuwarten.
    Innerhalb von zwei Tagen hatte Pelagia den ganzen Park kreuz und quer durchstreift. Sie war auch auf den berühmten englischen Rasen gestoßen, ein kleines Quadrat von sorgsam gestutztem Gras, auf dem tatsächlich vor kurzem jemand tüchtig herumgetrampelt haben musste, aber die elastischen Halme richteten sich schon wieder auf, und es war abzusehen, dass diese Pflanzstätte der Zivilisation bald in alter Schönheit wiederhergestellt sein würde. Von hier war es ein Katzensprung zum Fluss, eine frische Brise wehte, und neben dem Rasen schwankten im Wind die noch grünen, doch schon leblosen Zweige einer dünnen, angewelkten Espe. Die Nonne schaute öfter hier vorbei, setzte sich in die weiße Laube oberhalb des Steilufers, strickte an dem Gürtel für Schwester Emilia, saß auch lange still da, blickte auf den breiten Fluss, in den Himmel, auf die überschwemmten Wiesen des anderen Ufers. Schön war es, über die kleinen Waldwiesen und über die zugewucherten Wege zu wandern, wo die Luft von Bienen durchsummt und vom Laub der Bäume durchraschelt war.
    Aber der Frieden war trügerisch, nicht echt, die Nonne spürte in der elektrisierten Luft von Drosdowka Aufregung und hörte einen bestimmten Ton, als ob jemand eine dünne, aufs äußerste gespannte Saite zupfte. Erstaunlich, dass sie das Gut am ersten Tag als einen Garten Eden empfunden hatte. Pelagia war nicht

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