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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Rechtfertigungen und bat um Verzeihung, dass er einen so beschäftigten Menschen von seinen staatswichtigen Aufgaben abhielt.
    »Nicht doch, Sie tun nur Ihre Pflicht«, warf Bubenzow gelangweilt hin, ließ sich von seinem Sekretär einen Aktendeckel geben und nahm in einem Sessel Platz. »Ich hoffe nur, dass es nicht lange dauert.«
    »Noch gestrigen Tags sprach er mit euch, und plötzlich kam ihm die schreckliche Todesstunde. Denn wir alle werden verschwinden, werden sterben, Kaiser gleichwie Fürsten, Reiche gleichwie Arme, das ganze Menschengeschlecht«, sprach Tichon Selig gefühlvoll, und nach diesen traurigen Worten begann eigentlich das Experiment.
    Lagrange packte den Stier bei den Hörnern.
    »Meine Damen und Herren, ich darf Sie in den Salon bitten«, sagte er und öffnete die Tür zum Nebenzimmer.
    Genau wie am Abend zuvor begaben sich die Gäste in den Ausstellungsraum. Allerdings hingen da heute keine Bilder, nur die Papierstreifen mit den Titeln der unwiederbringlich verlorenen Kunstwerke waren geblieben.
    Lagrange zeigte auf den Titel »An der Meeresbucht«.
    »Ich hoffe, Sie alle erinnern sich an die drei Photographien einer entblößten Frau, die hier, hier und hier gehangen haben«, begann er und stieß den Zeigefinger dreimal gegen die leere Tapete.
    Die Antwort war Schweigen.
    »Ich weiß, das Gesicht des Modells war auf keinem der Bilder vollständig zu sehen, aber ich wünsche, dass Sie mit vereinten Bemühungen versuchen, einige Züge zu rekonstruieren. Es wäre für die Untersuchung enorm wichtig, diese Frau zu identifizieren. Aber vielleicht kennt sie einer der Anwesenden?«
    Der Polizeimeister starrte die Fürstin Telianowa an, doch die bemerkte den prüfenden Blick gar nicht, denn sie guckte nicht auf den Sprecher, sondern auf Bubenzow. Der aber stand abseits und studierte konzentriert ein Papier.
    »Nun gut«, sagte Lagrange drohend. »Dann gehen wir den langsamen und taktlosen Weg. Wir rekonstruieren das Aussehen des Modells in Teilen, und zwar in den Teilen, die gewöhnlich unter der Kleidung verborgen sind, denn über das Gesicht werden wir kaum viel erfahren. Trotzdem, beginnen wir mit dem Kopf. Welche Farbe hatten die Haare der Person?«
    »Sie waren hell, mit einem goldenen Schimmer«, sagte die Gattin des Adelsmarschalls. »Sehr dicht und ein wenig gelockt.«
    »Ausgezeichnet.« Der Polizeimeister nickte. »Ich danke Ihnen, Jewgenia Anatoljewna. Ungefähr so?« Er zeigte auf die Löckchen, die unter Naina Telianowas Hut hervorschauten.
    »Sehr gut möglich«, lispelte die Gräfin errötend.
    »Und der Hals? Was ist zu dem zu sagen?«, fragte Lagrange und seufzte mit der Miene eines Menschen, dessen Geduld zu Ende geht. »Danach reden wir eingehend über die Schultern, den Rücken, die Büste, den Bauch, die Beine. Und die sonstigen Teile der Figur, einschließlich der Hüften und Pobacken, ohne die geht es nicht.«
    Lagranges Stimme wurde drohend, und das peinliche Wort Pobacken sprach er singend, mit besonderem Nachdruck.
    »Aber vielleicht brauchen wir das alles gar nicht?«, wandte er sich unverblümt an die Fürstin Telianowa.
    Die lächelte ruhig, sie genoss sichtlich die auf sie gerichteten Blicke und die allgemeine Verlegenheit. Sie zeigte nicht das geringste Anzeichen der Schamhaftigkeit, die sie am Vorabend fast zum Weinen gebracht hätte.
    »Nun, mal angenommen, Sie fragen als Nächstes nach der Brust und den Pobacken«, sagte sie achselzuckend. »Und weiter? Wollen Sie alle Frauen des Gouvernements nackend ausziehen, um sie zu identifizieren?«
    »Wieso denn alle?«, zischte Lagrange. »Nur die Verdächtigen. Und das Ausziehen brauchen wir nicht, wozu solch ein Skandal? Es wird genügen, ein paar besondere Merkmale zu vergleichen. Ich führe ja diese Befragung aus formalen Gründen und zur nachfolgenden Protokollierung durch, dabei habe ich schon mit etlichen der Anwesenden gesprochen und weiß, dass die uns interessierende Person auf der rechten Pobacke zwei auffällige Muttermale und unterhalb der Brüste einen hellen Pigmentfleck von der Größe einer Halbrubelmünze hat. Sie ahnen ja nicht, Fürstin, wie aufmerksam ein Männerauge solche Einzelheiten wahrnimmt.«
    Das war auch für die unbeugsame Naina zu viel, sie lief puterrot an und wusste nichts zu sagen.
    Da kam ihr Frau Lissizyna zu Hilfe.
    »Ach, meine Herren, warum reden wir immer nur von denselben Photographien!«, zwitscherte sie, bemüht, von dem anstößigen Thema abzulenken. »Hier waren doch so viele

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