Al Wheeler und der Tanz in den Tod
nervöser
Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. »Was war das ?«
»Was war was ?« fragte ich.
»Seien Sie ganz still !« zischte sie. »Da! Ich habe es wieder gehört .«
»Ich auch.« Beaumont vergaß
plötzlich die Tragödie seines Balletts und hob ruckartig den Kopf. »Da ist
schon wieder dieser verdammte Voyeur irgendwo draußen !«
Stille entstand im Zimmer, als
wir drei unsere Ohren spitzten und auf weitere von draußen hereindringende Laute lauschten. Er möchte, daß man weiß, er ist im Dunkeln draußen, hatte Cissie St. Jerome an diesem Morgen gesagt,
erinnerte ich mich, und einen Augenblick lang sträubten sich mir die Haare im
Nacken.
»Er ist weg«, flüsterte
Beaumont mit gepreßter Stimme. »Aber er wird
zurückkommen, wie immer !«
Natasha schauderte plötzlich:
»Ich habe Angst«, gestand sie zitternd. »Ich habe noch nie zuvor solche Angst
gehabt. Ich muß immer daran denken, wie Anton aussah, als er draußen vor dem
Fenster am Baum hing !«
»Geben Sie ihr noch was zu
trinken«, sagte ich zu Beaumont. »Ich werde mich umsehen .«
»Nein, gehen Sie ja nicht
hinaus !« sagte die Ballerina heftig. »Bitte, Al — es
ist zu gefährlich. Nun wissen wir, daß er ein Mörder ist !«
»Ich wette, Sie sagen das, weil
es wahr ist«, knurrte ich.
»Natasha hat recht«, sagte
Beaumont düster. »Warum bestehen Sie darauf, ein toter Held zu werden,
Lieutenant ?«
»Halten Sie den Mund, und geben
Sie ihr was zu trinken«, sagte ich. »Wollen Sie mir zu einem Herzanfall
verhelfen, bevor ich noch aus dem Haus bin ?«
Ich ging um die Bar herum,
durchquerte das Zimmer, trat in den dunklen Korridor hinaus und strebte dem
vorderen Teil des Hauses zu. Die verdammte Eingangstür knarrte noch immer,
selbst als ich sie zentimeterweise öffnete, aber ich bezweifelte
hoffnungsträchtig, daß der Streuner ausreichend nahe
war, um es zu hören. Gleich darauf trat ich aus dem Schutz des Vordachs heraus
in eine mondbeschienene Urwelt und hörte, wie sich die riesigen, sich gegen den
Himmel abzeichnenden Wächter in ihren Zweigen flüsternd über den dummen Fremden
unterhielten, der es wagte, in ihr Gebiet einzudringen. Ich war ihrer Ansicht,
überlegte ich, während ich die Achtunddreißiger aus
dem Holster nahm — dumm war genau das richtige Wort.
Mich eng an die Mauer haltend
umschlich ich das Haus in Richtung auf den rückwärtigen Rasen; vom Schatten des
Gebäudes war ich recht gut geschützt, bis ich die letzte Ecke erreichte. Dann
blieb ich abrupt stehen und starrte trübe auf den ordentlich geschnittenen
Rasen, der sich vor mir im vom Wohnzimmer herausfallenden Licht erstreckte. Es
schien so, als hätte ich die Wahl, mich wieder ums Haus herum zum Vordereingang
hin zu verdrücken oder mich selbst als perfekte Zielscheibe anzubieten, während
ich den Rasen überquerte.
Ich blieb, wo ich war, tief in
den beruhigenden Schatten geschmiegt und strengte Augen und Ohren an, um die
leichteste Bewegung zu erspähen oder das leiseste Murmeln zu hören. Die majestätische
rote Zeder beherrschte noch immer den Schauplatz, und ich brauchte noch nicht
einmal die Augen zu schließen, um Leckwicks Leiche
noch immer von einem der niedrigeren Äste herabhängen zu sehen, während die
Zehen seiner Ballettschuhe eben den Boden berührten. Es war genau die Sorte
visionärer Erinnerung, die selbst einem pflichtgetreuen Polizeibeamten eine
wilde Angst einflößt, ganz zu schweigen von einem simplen, keineswegs
sonderlich pflichtgetreuen Wheeler.
Hinter der Zeder und dem
kunstvoll geschmückten Brunnen verlor sich der sorgsam geschnittene Rasen wie
in einer Art schwarzgrauen Schleiers in einem ungepflegten Teil des Parkes . In eine ungezähmte Wildnis, die sich sechs- bis
siebenhundert Meter weiter steil hinauf bis zu der massiven Felsbarriere
unmittelbar unter dem Gipfel des Bald Mountain erstreckte. Ich sah plötzlich,
wie sich ein Fleck helleren Graus langsam im Zentrum des schwarzgrauen Gebiets
bewegte und wieder der Wildnis zustrebte.
Mir wurde klar, daß die Chance,
eine perfekte Zielscheibe abzugeben, wenn ich den Rasen überquerte, gleich null
war, und kehrte sofort in die Elite der zutiefst pflichtgetreuen Polizeibeamten
zurück und rannte, den beruhigend wirkenden Stahlkolben der Achtunddreißiger fest in der Rechten, über das Gras. Als ich die Trennungslinie zwischen
gepflegtem Rasen und der Wildnis erreicht hatte, war der hellgraue Fleck wieder
verschwunden.
Etwa drei Meter hinter der
Trennungslinie begann wieder
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