Al Wheeler und die gespenstige Lady
rollte. Das
Gesicht des Mannes war jung — er mochte Mitte Zwanzig sein- und auf eine
dunkle, scharf geschnittene Weise hübsch. Die Augen standen weit offen und
starrten mit eisigem Entsetzen zu mir empor.
Der starke Gestank drang mir in
die Nase, als ich hastig wieder aufstand und die Welle von Übelkeit, die in mir
hochstieg, hinunterkämpfte. Eine halbe Minute später hatte ich mich wieder
genügend unter Kontrolle, um einen zweiten Blick auf die Leiche zu meinen Füßen
werfen zu können. Henry Slocombe war in der Tat tot —
jemand hatte mit der grausamen Geschicklichkeit eines Berglöwen seine Gurgel
herausgerissen.
ZWEITES KAPITEL
U nten an der Treppe wartete
geduldig der Geist einer Verstorbenen auf mich. Als ich näher kam, ließ der
Schein der Öllampe die Lichter auf ihrem dichten, glänzenden schwarzen Haar
aufblitzen und beleuchtete den unbekümmerten Ausdruck ihres Gesichts, ihre glatte
und alabasterweiße Haut.
»Er ist tot, nicht wahr ?« sagte sie leise.
»Ja«, sagte ich.
»War es —«, sie zögerte ein
paar Sekunden, »-seine Gurgel ?«
»Woher wissen Sie das ?«
»Dann war es die Graue Dame«, sagte
sie, beinahe wie zu sich selbst. »Armer Henry! Und arme Martha! Ich habe ihn so
gebeten, kein Narr zu sein, aber er war voll jugendlicher Arroganz und von
einem Selbstvertrauen, das nur durch Unwissenheit hervorgerufen werden kann .« Sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Nun werden Sie
natürlich auf logische Weise seinen Tod zu erklären versuchen, Lieutenant,
nicht wahr ?«
»Dafür werde ich bezahlt«,
sagte ich. »Um gleich anzufangen: Wer sind Sie eigentlich ?«
»Ich bin Justine Harvey«, sagte sie gelassen. »Dieses Haus gehört meinem Vater, Ellis Harvey .«
»Ist er hier ?«
»Im Eßzimmer .«
Ich erinnerte mich wieder. »Mit
den anderen zusammen? Wer sind diese anderen ?«
»Meine jüngere Schwester
Martha, mein Onkel Ben und George Farrow«, antwortete sie prompt.
»Und der Mann oben — war Henry Slocombe ?«
»Stimmt, Lieutenant .«
»Ein Freund der Familie?«
»Er wollte Martha heiraten«,
sagte Justine Harvey mit gelassener Stimme. »Vater
war dagegen, deshalb entschloß sich Henry auch, diese Nacht allein in dem
Zimmer zuzubringen. Wir warnten ihn — flehten ihn sogar an —
, es nicht zu tun, aber nichts konnte ihn von seinem Entschluß
abbringen.«
In diesem Augenblick ging das
elektrische Licht an, und ich blinzelte ein paarmal — erstens, weil meine Augen
durch die Helligkeit geblendet wurden, und dann, weil Justine so verblüffend schön aussah, weit schöner, als ich bei dem schwachen Licht der
Öllampe angenommen hatte.
Sie lächelte flüchtig und nahm
mir die Lampe aus der Hand. »Die werden Sie nicht mehr brauchen, Lieutenant .« Sie blies sie aus und blieb dann stehen, die Lampe wie
eine Art Talisman vor sich haltend, während sie darauf wartete, daß ich noch
mehr Fragen stellte.
»Vielleicht bin ich schon
übergeschnappt«, sagte ich ehrlich. »Ich würde also Hilfe brauchen, bevor gar
kein Zweifel mehr darüber besteht. Wenn diese Sache irgendwo einen Anfang haben
sollte, so erzählen Sie ihn mir bitte schnell. Ja? Warum war Slocombe entschlossen, die Nacht in diesem Zimmer oben
allein zuzubringen ?«
»Wegen der Grauen Dame«,
flüsterte sie beinahe. »Sie ist unser — Familiengespenst, wenn Sie es so
bezeichnen wollen. Es war ursprünglich ihr Zimmer, und sie hat es mit einem
Fluch belegt — aber das ist eine lange Geschichte, Lieutenant. Wollen Sie nicht
zuerst mit den anderen reden ?«
»Nein«, knurrte ich. »Die
werden bloß noch mehr von diesem >Graue-Dame<-Quatsch verzapfen, den Sie
mir eben aufgetischt haben. Es ist mir egal, wie lang die Geschichte ist — Zeit
ist das einzige, was ich im Augenblick hinreichend habe .«
Sie wies auf eine Tür, die
zwischen Treppenaufgang und Haustür lag. »Wir können dort hineingehen und es
uns ein wenig bequemer machen, Lieutenant .«
»Großartig !« sagte ich. »Gehen Sie schon voran, ich werde besser erst im Büro des Sheriffs
anrufen. Wo ist das Telefon ?«
»Eben in diesem Zimmer dort.«
Ihre Mundwinkel zuckten ein wenig. »Wollen Sie, daß ich draußen warte, während
Sie anrufen ?«
»Ich habe ihm nichts zu
berichten, was Sie nicht bereits wissen«, brummte ich.
Als was die Familie Harvey
dieses Zimmer bezeichnete, wußte ich nicht. Das Mobiliar war ungefähr ebenso
ansprechend wie in dem Zimmer droben — nur der Teppich befand sich in besserem
Zustand. Und ich dachte, der Raum
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