Al Wheeler und die Verführerin
langsam langweilig zu werden begann, und
überreichte ihr den Umschlag mit den Fotos. Sie nahm ihn aus meiner Hand, zog
die Bilder heraus und betrachtete sie mit einer geradezu eisig
undurchdringlichen Miene. Zehn Sekunden später gab sie sie mir zurück.
»Nun?« fragte sie ruhig.
Ich erzählte, wie ich an die
Bilder gekommen war und weswegen ich annahm, daß Marvin sie zu erpresserischen
Zwecken zu benutzen beabsichtigte.
»Ich sehe nicht, wie er das
hätte tun sollen, Leutnant«, sagte sie. »Angela hatte kein Geld, und von mir
würde er nicht einen Cent dafür bekommen haben.«
»Nicht einmal, um sie in einem
Verfahren gegen Rickie Willis benutzen zu können?« fragte ich.
»Dafür gab es genügend andere
Beweise«, fuhr sie los. »Das habe ich Ihnen doch schon in Ihrem schmierigen
kleinen Büro gesagt. Sie scheinen an Gedächtnisschwund zu leiden, Leutnant.«
»Eine meiner kleinen
Unzulänglichkeiten«, versicherte ich ihr. »Aber ich teile Ihre Auffassung — er
hätte damit weder Angela noch Sie erpressen können.«
»Warum hat er sich dann die
ganze Mühe gemacht?« fragte sie mit gelangweilter Stimme.
»Vielleicht würde Hillary eine
Menge Geld für die Negative bezahlt haben«, sagte ich.
»Hillary?« Sie hob die
Augenbrauen um eine Nuance. »Warum in aller Welt Hillary?«
»Vor nicht ganz einer Stunde
hat mir Angela alles erzählt«, sagte ich. »Die Geschichte ihrer Verführung und
wie Sie hinter die ganze Sache kamen. Marvin hat vor einem halben Jahr seine
Lizenz als Privatdetektiv eingebüßt, weil er in eine Callgirlring-Affäre verwickelt
war und außerdem in Verdacht stand, kleine Erpressungen begangen zu haben.
Möglicherweise war er als >Vermittler< für Hillary tätig.«
»Bilden Sie sich vielleicht
ein, daß Sie durch all diese intimen Erkenntnisse jetzt sozusagen
Familienmitglied geworden sind?« fragte sie mit trockener und harter Stimme.
Ich versuchte meinerseits,
anmutig zu schaudern. »So was würde ich nicht mal Rickie Willis wünschen«,
sagte ich aus tiefstem Herzen.
Mit erhobener Hand und einem
tief aus der Kehle kommenden zischenden Laut schoß sie aus dem Sessel. Ich
sprang auf, erwischte sie am Handgelenk und drehte ihr den Arm hinter den
Rücken.
»Schlagen Sie nur zu, meine
Liebe«, sagte ich und lächelte sie an. »Und Sie werden erleben, daß ich, eine
Viertelmilliarde Dollar hin oder her, wieder zurückschlage.«
»Lassen Sie mich los«, keuchte
sie und versuchte, ihren Arm loszuwinden.
Nie zuvor in meinem Leben hatte
ich soviel Geld geküßt, und ich gedachte nicht, mir diese einmalige Gelegenheit
entgehen zu lassen. Mit einer leichten Drehung des Handgelenks zog ich sie an
mich. Sie reagierte heftig, als unsere Lippen sich berührten und versuchte,
ihren Kopf abzuwenden. Als das nichts nützte, erstarrte sie und blieb reglos
wie eine Statue stehen, bis ich schließlich voller Verzweiflung aufgab und ihr
Handgelenk losließ.
Sie blickte mich steinern an,
während sie ihr Handgelenk sanft massierte. »Ich glaube, ich kann Ihnen nicht
einmal einen Vorwurf daraus machen, daß Sie mich mit dem Rest meiner Familie in
einen Topf werfen«, sagte sie mit einer Stimme, in der Nervosität mitschwang.
»Sie sind eine sehr anziehende
Frau, Mrs. Summers«, sagte ich ehrlich, »trotz Ihrer tiefgekühlten
Gefühlsregungen.«
Ich sah, wie plötzlich Wärme in
ihren Blick kam, und einige Sekunden lang konnte ich es gar nicht glauben.
»Nennen Sie mich Lyn«, sagte
sie unvermittelt. »Es ist lächerlich von einem Mann, der einen gerade geküßt
hat, mit Mrs. Summers angeredet zu werden. Sie müssen doch auch einen Vornamen
haben. Ich weigere mich, noch ein einziges Mal Leutnant zu sagen. Wie heißen
Sie denn eigentlich? — Sicher ganz schrecklich spießig, so wie Elmer.«
»Al«, sagte ich ehrlich
verwundert. »Ich fürchte, das ist nicht viel besser.«
»Viel nicht«, sagte sie abrupt.
»Möchten Sie was zu trinken?«
»Immer.«
»In der Küche steht Kognak. Tun
Sie Eis in meinen«, sagte sie forsch.
Ich ging in die Küche, fand den
Kognak und goß die Gläser ein. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, erwartete sie
mich auf der Couch. Sie nahm das Glas aus meiner Hand und blickte mich einen
Augenblick schräg von unten her an. »Worauf trinken wir, Al? Auf Ihren
männlichen Charme?«
»Und Ihre weibliche Anmut«,
sagte ich. »Oder sollte ich das vielleicht deutlicher formulieren?«
»Es reicht schon«, sagte sie
und nippte sparsam an ihrem Kognak. »Ich vermute, daß
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