Al Wheeler und die Verführerin
zog erst den Pullover und dann die Strumpfhosen an.
»Wissen Sie was, Leutnant«,
sagte sie mit brüchiger Stimme, »jetzt bin ich ein ganzes Jahr in diesem
Schweizer Internat gewesen, und alles war für die Katz. Sie haben mir nicht mal
beigebracht, wie man sich in einer Situation wie dieser benimmt.«
»Selbst Knigge würde da
mindestens zweimal nachdenken müssen«, sagte ich höflich. »Möchten Sie, daß ich
hierbleibe, bis Rickie wieder aufwacht?«
»Ich glaube, es ist besser,
wenn Sie dann nicht hier sind. Aber vielen Dank für das Angebot.«
»Nur noch eine Frage, bevor ich
mich verflüchtige«, sagte ich. »Wo waren Sie denn gestern, wenn Sie nicht in
Nevada waren?«
»Wir gingen in den Klub von
Ray«, sagte sie müde. »Wir saßen herum, beerdigten eine Flasche und brüteten
die Sache mit der Hochzeit in Nevada aus, bis Ray die gefälschte Heiratsurkunde
zum Vorschein brachte.«
Ich ging zur Tür, öffnete sie
und sah mich dann nach ihr um. »Sind Sie sicher, daß Sie mit ihm fertig werden,
wenn er aufwacht?«
»Klar.« Sie nickte wütend. »Das
ist schätzungsweise der große Tag meines Lebens, Leutnant. Wenn ich auch kein
College absolviere, so absolviere ich doch wenigstens die Schule der harten
Tatsachen. Zumindestens der harten Handgreiflichkeiten.«
»Sicher«, sagte ich voller
Mitgefühl. »Und wie Rickie ganz richtig bemerkte — Sie haben es ja nicht anders
gewollt!«
9
Ich klopfte leise zwei Treppen
höher an die Tür, hinter der eine von Zimmer sechshundertsiebzehn weit
entfernte Welt lag. Hillary Summers öffnete die Tür und sah mich mit dem
Ausdruck milder Überraschung an.
»Leutnant Wheeler, nicht wahr?«
fragte er freundlich.
»Sie täuschen sich nicht«,
sagte ich. »Ich möchte mit Ihnen und Mrs. Summers sprechen.«
»Bitte.« Er öffnete die Tür
ganz. »Kommen Sie doch bitte herein.«
Wir begaben uns in das
Wohnzimmer, wo wir uns einander gegenüber hinsetzten, wobei Hillary sich ein bißchen
zu auffällig bemühte, einen völlig gelassenen Eindruck zu erwecken.
»Was kann ich für Sie tun,
Leutnant?«
»Sie können mir ein bißchen was
über Marvin erzählen«, schlug ich vor.
»Ich glaube kaum, daß ich Ihnen
da von großem Nutzen sein kann.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich kannte
den Mann nur flüchtig.«
»Trotzdem empfahlen Sie ihn
Ihrer Schwägerin«, sagte ich.
»Das stimmt.« Er nickte rasch.
»Ich beschäftigte ihn bei der Erledigung einiger kleiner Aufgaben, wobei er
sich als tüchtig erwies, und so war es ganz selbstverständlich, daß ich Marvin
vorschlug, als Lyn davon sprach, einen Privatdetektiv anzustellen, um Angela
und den jungen Willis zu finden. Aber ich könnte nicht behaupten, ihn überhaupt
gekannt zu haben, Leutnant, wenn Sie den Begriff wörtlich nehmen.«
»Wußten Sie, daß ihm vor sechs
Monaten die Lizenz entzogen worden ist?«
»Nein.«
»Er war in eine
Callgirlring-Affäre verwickelt, wo er sich offenbar als Kuppler und nebenher
noch ein bißchen als Erpresser betätigte«, fügte ich hinzu.
Hillary zuckte unbeholfen die
Schultern. »Davon hatte ich keine Ahnung. Ich würde nicht im Traum daran
gedacht haben, ihn Lyn zu empfehlen, wenn ich das gewußt hätte.«
Mir dabei Zeit lassend, zündete
ich mir eine Zigarette an und beobachtete, wie er mit seinen schlanken,
empfindsamen Fingern geräuschlos auf sein Knie trommelte.
»Hat Angela Summers Sie gestern
nacht besucht?« fragte ich ihn plötzlich.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Sie ließ Rickie Willis in Miß
Brents Apartment zurück und besuchte Sie dann, obwohl sie Miß Brent erzählte,
sie würde ihre Mutter aufsuchen.«
Mit einer seltsam knabenhaften
Geste wischte er sich das dunkle, leicht angegraute Haar aus der Stirn. »Nun
ja, sie kam vorbei und suchte mich für ein paar Minuten auf, Leutnant. Sie
wollte aus dem schmutzigen Hotel, in dem sie wohnte, ausziehen und
hierherkommen. So bat sie mich, die Angelegenheit für sie zu erledigen, und ich
rief sofort den Geschäftsführer an und brachte die Sache in Ordnung.«
»Und Sie gaben ihr auch etwas
Geld?«
»Sie ist schließlich—«, er
lächelte eitel, »meine Nichte.«
Ich nahm den Umschlag mit den
Fotos aus meiner Tasche und gab sie ihm. »Wir haben das unter Marvins Sachen
gefunden«, sagte ich.
Er nahm die Fotos aus dem
Umschlag und starrte eines nach dem anderen langsam an.
»Das ist infam«, krächzte er,
während sein Gesicht weiß wurde. »Ich bin überrascht, daß Sie das
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