Alanna - Das Lied der Loewin
verdrängte den Gedanken an Herzog Roger so gut sie konnte und legte beide Hände um die Tasse.
»Wie geht es dem Prinzen?«, fragte die Frau und setzte sich.
Alanna rührte mit den Fingerspitzen im Tee und antwortete leise: »Ich weiß nicht so recht. Er ist ausgesprochen seltsam in letzter Zeit. Seit wir aus dem Drelltal zurück sind.«
»Inwiefern?«
»Er ... Mal ist er aufbrausend, mal eiskalt. Manchmal bin ich für ihn der beste Freund der Welt. Und manchmal führt er sich auf, als sei ich ein Ungeheuer. Ich begreif das nicht. Er...« Alanna errötete. »Diesen Sommer hat er mich geküsst. Ich glaube, er hätte Lust, es wieder zu tun, aber er tut es nicht. Manchmal spricht er über Georg, als hätte er was gegen ihn, dabei weiß ich, dass das nicht stimmt, weil er nämlich
in die Stadt geht und ihn besucht, wenn ich beschäftigt bin. Er verlangt eine Menge von mir!«, stieß Alanna hervor. Sie stand auf und ging auf und ab. »Wenn ich mit ihm in Gesellschaft bin – und er zwingt mich mitzukommen –, muss ich piekfein aussehen und mich besser benehmen als jeder andere. Genau wie er selbst muss ich mit allen Damen tanzen, dabei muss das außer mir keiner. Ich sagte ihm, dass ich mir wie eine Närrin vorkomme, worauf er mir entgegnete, es sei besser, eine höfliche Närrin zu sein als eine unhöfliche. Aber wenn ich mich dann wirklich ein bisschen mit einer Dame – oder sogar mit Gary oder Raoul – unterhalte, dann wird er wütend! Er sagt, ich dürfe die Damen nicht an der Nase herumführen, und im gleichen Atemzug beschuldigt er mich, mit Gary und Raoul zu flirten!« Alanna setzte sich und stürzte ihren Tee hinunter. Es überraschte sie, wie ihr die Worte herausgesprudelt waren.
»Du scheinst ziemlich wütend zu sein auf Prinz Jonathan«, bemerkte Frau Cooper.
Alanna wurde dunkelrot. »Ich kenne mich nicht aus mit meinen Gefühlen«, murmelte sie. »Mir ist einfach nicht klar, warum er mich so behandelt. Aber ich bin nicht deshalb gekommen.« Sie holte tief Luft. »Würdet Ihr mir beibringen mich wie ein Mädchen zu kleiden?«
Frau Cooper zog die Augenbrauen hoch. »Also das finde ich jetzt seltsam«, sagte sie ruhig. »Warum willst du das lernen?«
Alanna zog eine Grimasse. »Ich weiß nicht. Es ist nur – ich sehe, dass alle Damen am Hof schöne Sachen tragen, und in letzter Zeit dachte ich mir manchmal, dass ich auch schöne Sachen mag. Eines Tages werde ich ein Mädchen sein müssen – warum sollte ich nicht jetzt schon mit dem Üben anfangen?«
Sofern Frau Cooper annahm, Alannas plötzlicher Wunsch, wie ein Mädchen auszusehen, habe etwas mit Jonathan oder Georg zu tun, hütete sie sich wohlweislich es auszusprechen. Stattdessen willigte sie ein, Alanna bei diesem neuen Projekt zu helfen, und noch am selben Abend fing sie damit an und nahm bei ihr Maß. Ein paar Tage später kam Alanna zur Anprobe. Während die ältere Frau einen Saum richtete, drehte sich Alanna um und versuchte sich in dem großen Spiegel von hinten anzusehen.
»Halt still!«, befahl Frau Cooper mit dem Mund voller Nadeln. »Du bist schlimmer als ein kleiner Junge aus der Stadt, der seine ersten langen Hosen bekommt.«
»Irgendetwas stimmt da nicht«, wandte Alanna ein und versuchte den Kopf zu drehen, ohne den Körper zu bewegen. »Ich sehe aus wie Knappe Alan in Mädchenkleidung.«
»Was daran liegt, dass Knappe Alan noch immer seine alte Frisur hat. Steh still!«
Als das Kleid ordentlich saß, richtete Frau Cooper Alannas leuchtend rote Locken und schminkte sie. »Ich finde es gut, dass du dich langsam an Mädchenkleidung gewöhnen willst«, kommentierte sie, während sie schwarze Farbe auf Alannas Lider rieb. »Aber du hast noch eine Menge zu lernen.«
»Wenn ich gewusst hätte, dass es ein solches Theater gibt, hätte ich nie darum gebeten«, murrte Alanna. Ihre ältere Freundin lachte. »Aber ich brauche etwas Abenteuer. Ich war in letzter Zeit ziemlich ruhelos.«
»Ist dir das Leben im Palast zu langweilig?«, erkundigte sich Frau Cooper teilnahmsvoll.
»Langweilig kann man es nicht gerade nennen«, widersprach Alanna. »Ich muss nur ab und zu aus dem Haus. Ich
muss mal wegkommen von... von gewissen Leuten.« Sie wollte nicht erzählen, dass Jonathan sie am Abend zuvor wieder geküsst hatte. Sie wollte nicht einmal daran denken, denn wenn sie das tat, dann fiel ihr auch die seltsame und beängstigende Erregung wieder ein, die sie bei seiner Umarmung gespürt hatte. Sie seufzte.
»Ich brauche Zeit, um
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