Alanna - Das Lied der Loewin
Gedanken.«
Alanna ließ sich von dem Bazhir auf die Beine helfen. Sie zitterte.
»Ich bezweifle, dass ich mich in ein derartiges Leben einfügen könnte«, sagte sie kurz. »Jeden Tag all diese Erinnerungen mit sich herumtragen? Nein danke!«
Halef Seif lachte in sich hinein, als er sie aus dem Zelt führte. »Nicht viele werden dazu erwählt, das Amt der Stimme zu übernehmen, falls dich das beruhigt«, bemerkte er. »In einer Woche wird er hier sein.« Der groß gewachsene Bazhir seufzte, einen Augenblick lang sah er älter aus, als er in Wirklichkeit war. »Nun will ich dir etwas sagen, Frau meines Stammes, was außer dir und mir keinen etwas angeht«, sagte er leise. »Ich hoffe, dass die Stimme mir helfen wird eine gerechte Lösung zu finden, was Ibn Nazzir betrifft. Der alte Mann stört das Gleichgewicht, das zwischen dem Häuptling und dem Schamanen herrschen sollte. Das wird zu einem schlimmen Ende führen.« Er zog eine Grimasse. »Komm! Es gibt Geschichten, die du noch nicht gehört hast. Bevor ich es vergesse: Die Stimme bat mich dir auszurichten, dass du mit ihm zusammen im
Sonnenuntergangszimmer des Schlosses von Persopolis warst.«
Im Sonnenuntergangszimmer?, überlegte sie verwirrt. Es handelt sich um den Schlossverwalter! Wie hieß er doch gleich? Ali Mukhtab. Er führte mich, Jon, Raoul, Alex und Gary in diesen Raum und er war es, der uns von der Schwarzen Stadt erzählte. Er war groß, trug ein prächtiges Wams und hatte eindringliche Augen. Jon bat ihn um eine Niederschrift der Geschichte des Volkes der Bazhir ...
»Ali Mukhtab?«, flüsterte sie entgeistert. »Ali Mukhtab ist diese Stimme der Stämme?«
»So ist es«, bestätigte Halef Seif. »Welcher Mann wäre besser geeignet, Wache zu halten im Schloss, wo unsere ältesten Aufzeichnungen liegen? Komm mit. Jetzt will ich dich im Stamm einführen. Die Stimme wird in sieben Tagen hier eintreffen. Er wird dir deine Fragen beantworten.«
Auf Halef Seifs Worte war Verlass. Alanna und Coram kehrten eine Woche später gerade mit den jungen Männern des Stammes von der Jagd zurück, als Trusty vom Dorf her auf sie zugetapst kam.
Er ist da, miaute er Alanna in ihrer Geheimsprache zu. Die Stimme der Stämme ist gekommen. Einen ausgezeichneten Geschmack hat er. Er mag Katzen.
»Dass er Katzen mag, ist mir bekannt, aber ich glaube nicht, dass das ein Hinweis auf guten Geschmack ist«, entgegnete Alanna.
Sie führte Moonlight zu der Stelle, wo auch die anderen Pferde des Stammes angebunden waren. »Wer ist im Augenblick bei ihm?«
Ibn Nazzir , antwortete Trusty. Eine der Freundinnen des
Schamanen lockte Halef Seif weg, indem sie ihm vorlog, in ihrem Haushalt sei ein Streit ausgebrochen.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Coram leise, während sie ihre Pferde abrieben.
Alanna schüttelte den Kopf. »Ibn Nazzir ist uns bei Ali Mukhtab zuvorgekommen.«
Coram zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Bei der Stimme der Stamme? Du sagtest doch, ihr wärt mal Freunde gewesen?«
Alanna zuckte die Achseln und ging voraus zu ihrem Zelt. »Das war vor sechs Jahren. Vielleicht hat er sich verändert. Ob er damals schon die Stimme war, weiß ich nicht.« Sie öffnete ihr Zelt, blieb stehen und bestaunte die fünf Bündel, die ordentlich hinter dem Eingang aufgestapelt lagen. »Was im Namen der ...«
»Das ist die erste Niederschrift der Geschichte des Volkes der Bazhir.« Alanna und Coram fuhren zusammen, als hinter ihnen die weiche Stimme erklang. Sie drehten sich um und standen Ali Mukhtab gegenüber. Die Stimme der Stämme trug einen wallenden, blauen Burnus, der mit einer Kordel in einem dunkleren Blau gegürtet war. Diese Farben hatten bei den Bazhir eine religiöse Bedeutung, wie Alanna einfiel. Er sahnochgenauso aus wie bei ihrem letzten Zusammentreffen: Ein großer Mann, mit einer walnussfarbenen Haut, einem sauber gestutzten Schnurrbart und großen Augen mit schweren Lidern, die von langen, gebogenen Wimpern gerahmt waren. Jetzt verneigte er sich, sein wohlgeformter Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln.
Alanna erinnerte sich ihrer Manieren und lud ihn ein ins Zelt zu treten. Gerade überlegte sie, wie sie ihren hohen Gast wohl bewirten sollte, als Kara und Ishak mit gekühltem
Wein und Früchten kamen. Sie boten ihre Gaben erst Mukhtab an, dann bedienten sie auch Alanna und Coram und bezogen dann ihre Plätze gleich draußen vor dem Zelteingang. Mukhtab lachte in sich hinein.
»Ich sehe, man hat dich in der großen Familie
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