Alanna - Das Lied der Loewin
seinem Bemühen, ihr Leben zu beenden. Mit leeren Händen, voll auf jede Bewegung des Schamanen konzentriert, wich sie flink nach hierhin und dorthin aus und brachte sich mit tänzelnden Schritten außer Reichweite, wenn er auf sie einhieb.
Ibn Nazzir war nicht der Gegner, der Herzog Roger gewesen war. Seine Hiebe waren oft ziellos, dazu hielt er nur schlecht das Gleichgewicht. Und langsam war er auch. Das Schwert war es, was Alanna fürchtete. Sie hatte das Gefühl, der alte Mann wäre mit einem gewöhnlichen Schwert in der Hand um einiges weniger gut gewesen. Sie packte den Glutstein und flüsterte einen Zauberspruch, um eine Schutzwand aufzubauen.
Violettes Feuer tauchte aus dem Nichts auf und wirbelte auf Ibn Nazzir zu, um ihn einzukreisen. Kreischend schlug er mit dem Schwert um sich, bis die Feuerwand wieder verschwand. Nun griff er von Neuem an. Alanna machte einen Satz, trat nach ihm und warf ihn so zu Boden. Blitzschnell rollte sie sich ab, stürzte sich auf ihn und rang mit ihm um das Schwert. Das Summen war jetzt lauter, es übertönte alle anderen Geräusche. Unsichtbare Finger packten nach ihrer Kehle, gerade als sie sah, dass sich der Schamane langsam grau verfärbte.
»Hör auf!«, schrie sie in dem Versuch, sich Gehör zu verschaffen. So gut sie konnte, griff sie mit ihrem Bewusstsein nach den unsichtbaren Fingern, um sie von sich wegzuhalten. »Du bist nicht stark genug! Du verbrauchst deine eigene Lebenskraft!«
Da warf er sie auf den Rücken. Alanna klammerte sich am
Heft des Schwertes fest, denn auf diese kurze Entfernung konnte er nicht daneben treffen, falls er die Klinge freibekam. Sie rangen miteinander, Schweißtropfen fielen von seinem Gesicht auf das ihre herunter. Er wurde grauer, um seinen Mund und die Nasenflügel zogen sich blaue Linien. Alles wurde schwarz. Die Wolke, die Alanna plötzlich umhüllte, schnitt ihr alle Luft und jegliches Gefühl ab. Sie wehrte sich verbissen, wobei sie auf Kraftreserven zurückgriff, die sie in jahrelanger Arbeit im Geheimen angesammelt hatte. Tatsächlich verdrängte ihr eigenes, violettes Feuer nach und nach die Schwärze. Wo es auf die Kristallklinge traf, funkelte und loderte es. Aus der Ferne hörte sie einen Schrei.
Die Schwärze war verschwunden. Akhnan Ibn Nazzir brach über ihr zusammen. Seine weit aufgerissenen Augen starrten blicklos ins Nichts. Er war tot.
Gammal und Halef zerrten den toten Schamanen weg von ihr. Ishak half ihr auf die Beine; dabei taumelte sie vor Erschöpfung. Kara und Kourrem kamen herbeigehastet, um sie von beiden Seiten zu stützen. Ali Mukhtab, der Ibn Nazzir untersuchte, sah verwundert auf. »Er trägt keinerlei Spuren des Kampfes und doch ist er tot. Woran starb er?«
Alanna rieb sich die Augen. Sie hatte einen Großteil ihrer Körper- und Zauberkraft verbraucht. Im Augenblick wollte sie nur noch eines – in ihr Zelt gehen und sich hinlegen. »Er hat Macht benutzt, über die er nicht verfügte«, krächzte sie schließlich. »Er war kein sonderlich guter Zauberer. Er hat seine eigene Lebenskraft angezapft, weil er mich tot sehen wollte.« Verblüfft entdeckte sie, dass ihre rechte Hand das Kristallschwert hielt. »Hätte er durchgehalten, er hätte möglicherweise gewonnen«, fügte sie bitter hinzu. »Es tut mir
leid, dass ich euch solche Schwierigkeiten gebracht habe.« Sie schickte sich an davonzugehen.
»Einen Augenblick noch.« Halefs Stimme war freundlich, aber bestimmt. Sie schaute zurück. Er deutete auf das Zelt des Schamanen. »Hier ist nun dein Zuhause.«
Alanna klammerte sich mit ihrer freien Hand an Kourrems Schulter fest. »Ich verstehe nicht.«
Ali Mukhtab erhob sich und trat neben den Häuptling. »Halef Seif hat recht. Du hast den alten Schamanen getötet. Nun musst du seinen Platz einnehmen, bis du einen neuen ausgebildet hast oder bis ein anderer Schamane dich tötet.«
Das war zu viel. »Ihr seid verrückt!«, rief Alanna. Ihre Stimme brach vor Müdigkeit. »Ich bin keine ... Ich bin eine Ritterin! Ich habe niemals Magie gelehrt...«
»Würdest du wollen, dass wir den Schamanen der Männer von den Hügeln schutzlos ausgeliefert sind?«, fragte Halef ruhig. Alanna schwieg, denn ihr fielen die Geschichten ein, die ihr die Bazhir über die Zauberer aus den Hügeln erzählt hatten. »So lautet das Gesetz. So will es unser Brauch.« Halef öffnete den Eingang zum Zelt des Schamanen. »Hier ist nun dein Zuhause, Frau-die-wie-ein-Mann-reitet.«
Einen Augenblick lang trafen Alannas
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