Alanna - Das Lied der Loewin
hoffe, dein Bruder macht seine Sache ebenso gut wie du. Wenn euer Vater euch auch nicht auseinanderhalten kann, so kann er wenigstens stolz auf seine beiden Söhne sein.«
Alanna senkte den Kopf. Sie hasste sich selbst, weil sie jemanden wie Herzog Gareth anlügen musste. »Ich danke Euch, Euer Gnaden«, flüsterte sie.
»Du kannst jetzt gehen. Und vergiss nicht, deinem Vater zu schreiben.«
Alanna verneigte sich. »Gewiss, Herr.« Sie ging hinaus und schloss die Tür. Im Flur ließ sie sich gegen die Wand sinken. Wenn sie Glück hatte, würde Herzog Gareth von nun an glauben, derartige Briefe seien Lord Alans schlechtem Gedächtnis zuzuschreiben.
Sie kehrte ins Klassenzimmer zurück, aber sie hatte noch immer weiche Knie. Es war wirklich praktisch, wenn man einen Vater hatte, den es nicht kümmerte, was man tat.
Aber wenn das so praktisch war, warum war ihr dann zum Weinen zumute?
3
Ralon
Alanna hatte Ralon von Malven nicht vergessen und er sie ebenfalls nicht. Gewöhnlich begegneten sie sich nicht, da er seine Knappenausbildung begann, während Alanna Page war. Doch wenn sie sich begegneten, ließ Ralon sie spüren, dass sie Feinde waren. Er wartete nur auf eine Gelegenheit, sich an ihr zu rächen.
An den Sommernachmittagen beendeten Knappen und Pagen gemeinsam den Unterricht mit Schwimmen und Reiten. An einem dieser Nachmittage kamen sie später als gewöhnlich in den Palast zurück. Die meisten Jungs gingen eilig in ihre Zimmer, um sich zu waschen. Alanna rieb gerade ihr Pony ab, als sie ein dumpfes Geräusch hörte. Ralon stand vor Chubbys Box. Sein Sattel und sein Zaumzeug lagen am Boden.
»Reib mein Pferd ab und häng das hier auf«, befahl er. »Ich gehe.«
Alanna starrte ihn an. »Das soll wohl ein Scherz sein?«
Ralon gab ihr einen Stoß, dass sie gegen Chubby fiel. »Ich habe dir einen Befehl erteilt.«
Bevor sie etwas sagen konnte, war er verschwunden. Sie starrte ihm hinterher, während sie mehrmals die Fäuste ballte und sie wieder öffnete. Sie hätte gute Lust gehabt, ihn zu erwürgen.
»Machst du’s?«
Alanna fuhr zusammen und schaute auf. Georgs Mann, Stefan, der Pferdeknecht, schwang sich vom Heuschober herunter. Er war ein kleiner blonder junger Kerl mit fahlen Augen und rötlicher Haut. Die Tiere liebten ihn, und bei den Pferden fühlte er sich wohler als bei den Menschen. Alanna und ihre Freunde schien er jedoch recht gern zu mögen.
Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Stimme wieder im Griff hatte. »Was?«
»Hast du vor, hinter ihm herzuräumen?«, erkundigte sich Stefan, während er Chubbys Futtertrog einen kräftigen Schlag versetzte.
Alanna sah auf den Sattel hinunter und holte tief Luft. Jetzt, wo sie sich zur Wehr setzen musste, war sie wütend, aber zugleich auch ängstlich. »Nein. Das kann ich nicht. Das will ich nicht.«
Stefan zuckte die Achseln. »Denk dran, dass ich dem Herzog Bescheid sagen muss«, erinnerte er sie. »So wurd’s mir befohlen. Die Jungs müssen ihre Tiere selbst versorgen. Und wenn sie’s nicht tun, dann muss ich’s dem Herzog melden.«
Alanna zögerte. Ralon würde sie umbringen. Aber wenn sie nachgab, würde er ständig so weitermachen.
»Dann meldest du’s eben«, sagte sie mürrisch und machte sich wieder an die Arbeit. »Ich habe nichts damit zu tun.«
»Überleg’s dir gut«, mahnte Stefan, und sein rundes Gesicht sah besorgt aus. »Dieser Ralon wird nicht grad begeistert sein, wenn er Schwierigkeiten mit dem Herzog kriegt.«
Alanna sah mit tief violettfarbenen Augen von ihrem Pony auf. »Das ist dann wohl Ralons Problem, oder?«, meinte sie mit leiser Stimme. Sie bürstete Chubby fertig und ging.
Stefan schüttelte den Kopf. Der Kerl hat Mut, dachte er. Viel verstand hat er nicht, aber dafür Mut.
Bis zur Schlafenszeit an diesem Abend hatte es sich herumgesprochen. Ralon musste einen Monat lang jeden Abend in den Ställen arbeiten.
Jonathans Freunde hatten Mühe, ihre Schadenfreude nicht zu zeigen.
»Geschieht ihm recht«, bemerkte Francis. Sie saßen vor dem Lichtauslöschen in Garys Zimmer. »Er hat einfach sein Zaumzeug auf dem Boden liegen lassen. Sein Pferd war schweißbedeckt. So darf man ein gutes Tier nicht behandeln.«
»Ich frage mich sowieso, wie er auf die Idee kam, er könne ungestraft damit durchkommen«, murmelte Alex.
»Vermutlich hat er versucht irgendeinen von den Jüngeren dazu zu kriegen, es für ihn zu erledigen«, sagte Raoul verächtlich. »So macht er es doch öfter mal, oder etwa
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