Alanna - Das Lied der Loewin
Herr«, entgegnete Coram, »aber wenn du verschwinden willst ...«
»Die Entscheidung treffe ich «, erklärte sie. »Und jetzt gute Nacht!«
Erst als sie unter die Decken kroch, wurde ihr klar, dass Coram seine Taschen unters Bett zurückgestellt und seine Stiefel ausgezogen hatte. Der alte Soldat hatte also überhaupt nicht gepackt. Wenn er mich doch nur nicht so gut kennen würde, dachte sie. Und dann schlief sie ein.
Aus der einen Woche wurden zwei, aus den zwei Wochen wurden drei, und Alanna war zu erschöpft, um den langen Ritt nach Hause noch groß zu erwägen. Es gelang ihr nie, mit ihrer Arbeit fertig zu werden, und jeden Tag stellte mindestens einer ihrer Lehrer fest, dass sie irgendetwas nicht
erledigt hatte, und gab ihr noch mehr auf. Sie lernte Garys Ratschlag zu befolgen, sie solle jeden Tag so viel erledigen, wie sie schaffte, und die Strafen ohne Widerrede auf sich zu nehmen.
Der erste Abend, an dem sie Tischdienst hatte, kam und ging vorüber. Sie war zu müde, um während dieser ersten Prüfung aufgeregt zu sein. Sie bediente Herzog Gareth, hörte sich seine Lektion über Tischsitten an und servierte von da an täglich bei den abendlichen Banketten. Schließlich wurde sie zu ihrer größten Freude angewiesen, künftig Sir Myles zu bedienen. Der Ritter hatte immer ein freundliches Wort für sie, auch wenn er – wie Alex gesagt hatte – tatsächlich zu viel trank. Manchmal, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte, half sie ihm sogar zurück in seine Räumlichkeiten. Oft schenkte er ihr einen Silberpfennig oder etwas Süßes, und seine Unterrichtsstunden waren der Lichtblick ihrer Vormittage. Myles hatte die Gabe, Geschichte richtig zum Leben zu erwecken.
Alanna und Gary wurden rasch Freunde. Gary machte ständig witzige Bemerkungen über den Lehrer im Benimmunterricht und er nahm sich immer die Zeit, ihr zu helfen, wenn sie es über sich brachte, ihn darum zu bitten. Sie entdeckte auch, dass sie ihren Freund zum Lachen bringen konnte, indem sie einfach nur das sagte, was ihr gerade in den Sinn kam. Sie freute sich, dass sie jemanden, der so intelligent wie Gary war, zum Lachen bringen konnte.
Durch Gary, Myles und einige andere im Palast wurde Alannas Leben leichter, und sie vergaß, dass sie Coram vor Kurzem befohlen hatte, zu packen und sie nach Hause zu bringen.
Drei Monate – und ihr elfter Geburtstag – gingen vorüber, ohne dass es Alanna richtig wahrnahm. Eines Abends, als Timon nach ihr suchte, wurde ihre neue Routine zum ersten Mal unterbrochen.
»Er will dich sehen.« Timon brauchte nicht zu erklären, wer »er« war. »Du sollst in sein Arbeitszimmer kommen.«
Alanna strich ihren Waffenrock zurecht und versuchte ihr Haar zu ordnen, bevor sie an Herzog Gareths Tür klopfte. Warum wollte der Herzog sie sehen? Was hatte sie falsch gemacht?
Er rief sie herein und schaute von seinen Papieren auf, als sie die Tür hinter sich schloss. »Alan, komm herein. Ich schreibe gerade deinem Vater, welche Fortschritte du machst. Hast du irgendeine Nachricht, die ich an ihn weiterleiten soll?«
Sie hatte also nichts ausgefressen! Alanna unterdrückte einen erleichterten Seufzer. Dann fiel ihr etwas noch Schlimmeres ein. Was war, wenn ihr Vater aus seinem Büchernebel auftauchte und Herzog Gareths Brief tatsächlich las?
Darüber mache ich mir Sorgen, wenn es tatsächlich passiert, sagte sie sich. Würden die Probleme denn niemals aufhören?
»Bitte schreibt meinem Vater, dass ich ihm meine Grüße sende, Euer Gnaden«, sagte sie.
Er legte seinen Federkiel beiseite. »Mein Bericht ist recht positiv. Du lernst gut und schnell. Wir sind froh, dich bei uns zu haben.«
Alanna wurde ganz rot vor Freude. So ein tolles Kompliment hatte man ihr noch nie gemacht. »Vie-vielen Dank, Euer Gnaden!«
»Zur Belohnung darfst du morgen früh in die Stadt. In Zukunft kannst du mit den anderen Pagen auch am Markttag
nach Corus hinuntergehen. Da du noch neu bist, kannst du einen von den älteren Jungen als Begleiter mitnehmen. Nur nicht Alex. Er hat morgen eine zusätzliche Stunde Benimmunterricht.«
Alanna strahlte. »Ihr seid sehr gütig«, sagte sie. »Dürfte ich Gary – Gareth – mitnehmen?«
Der Herzog zog eine Augenbraue hoch. »Hm. Er hat gesagt, dass er gern mit dir zusammen ist. Das lässt sich machen. Aber achte darauf, dass ihr rechtzeitig zum Nachmittagsunterricht wieder zurück seid.«
»Ja, Herr!« Sie verbeugte sich tief. »Und noch einmal vielen Dank!«
Gary musste
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