Alanna - Das Lied der Loewin
tue, Georg. Und es ist nicht nur, weil Jon eine andere gefunden hat. Das hier hätte schon lange passieren sollen.«
Er stand auf und räusperte sich. »Also gut.« Plötzlich lachte er. »Dann komm mit, Süße.«
Falls Coram auffiel, dass sie ihre Sachen in Georgs Zimmer geschafft hatte, hielt er entweder den Mund oder aber er unterhielt sich nur mit Rispah darüber. Offensichtlich schien er sich zu freuen, dass Alanna ihren Zorn und ihr Selbstmitleid überwunden hatte. Als Rispah die junge Ritterin das
erste Mal dabei erwischte, wie sie Georgs Räume verließ, schenkte sie ihr ein breites Lächeln. Die Diebe sagten kein einziges Wort. Lediglich die Stimmung wandelte sich im Haus Azik: Die Leute pfiffen bei ihrer Arbeit, Marek scherzte mit den Mägden, Rispah und Coram führten sich wie verliebte Siebzehnjährige auf.
Nur eines trübte diese Herbstwochen im Haus in der Hundegasse: ein zunehmendes Gefühl von Macht, das von Corus ausging. Anfangs ignorierte es Alanna, da sie annahm, es sei bloß eine Begleiterscheinung ihrer Niedergeschlagenheit wegen Jonathan. Doch das Gefühl hielt an, bis sie schließlich mit Georg darüber sprach. Er rief ihr ins Gedächtnis zurück, dass Thom der Einzige in Corus war, der eine derartige Macht um sich versammeln konnte. Also schickte sie ihrem Zwillingsbruder eine Nachricht um die andere. Falls die Magie nicht von Thom stammte, würde er wissen, wer (oder was) dafür verantwortlich war. Doch der junge Zauberer antwortete nie auf ihre Briefe. Als sie zwei Tage vor dem Fest der Toten versuchte sich in dem Feuer, das in Georgs offenem Kamin brannte, mit Thom in Verbindung zu setzen, fand sie lediglich eine sich zusammenziehende Wolke, in die sie nicht eindringen konnte.
»Was siehst du?«, fragte Georg leise, während sie in die purpurfarbenen Flammen starrte.
Magie, antwortete Trustγ, als Alanna kein Anzeichen gab, Georgs Frage gehört zu haben. Rund um die Stadt herum. Ob sie nun von Thom ausgeht oder nicht – jedenfalls gibt es keine Möglichkeit, zu ihm durchzudringen.
Georg warf dem Kater einen Blick zu und zog eine Grimasse. Er konnte sich nicht daran gewöhnen, dass er Trusty gelegentlich verstand, manchmal aber auch nicht. »Gibt es
irgendeinen Weg, rauszukriegen, ob es zu einem schlechten Zweck ist?«
»Ich spüre nichts Böses darin.« Alanna klang, als dächte sie laut nach. »Und Thom wäre nicht gerade begeistert, wenn ich in die Stadt geritten käme und eines seiner Experimente unterbräche.«
Wenn es das ist, worum es geht, kommentierte Trusty.
Alanna starrte noch eine Weile in die Flammen. Plötzlich schüttelte sie den Kopf, damit er wieder klar wurde, klatschte in die Hände und beendete den Zauber mit dem Befehl: »So soll es sein!«
»Willst du abwarten?«, fragte Georg mit einem liebevollen Blick. Alanna nickte. Er reichte ihr die Hand und half ihr auf die Beine. »Dann mach es dir lieber gemütlich, während du wartest!«, sagte er grinsend, hob sie hoch und ließ sie aufs Bett plumpsen.
Das Fest der Toten dämmerte kalt und stürmisch herauf. Die Wellen donnerten gegen die Klippen unterm Haus, der Wind blies alles fort, was nicht niet- und nagelfest war. Als Alanna aufstand, war Georg fort. Er war wegen seiner Geschäfte in die Hauptstadt gerufen worden. Auf dem Zettel, den er hinterließ, hieß es, er hoffe bis zum Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein, würde er jedoch zu lange aufgehalten, wolle er im Tanzenden Täubchen in Corus bleiben, statt den Rückritt im Dunkeln zu riskieren. Sie solle nicht aufbleiben, um auf ihn zu warten, und Sorgen solle sie sich auch keine machen. Wenn sie brav sei, wolle er ihr eine Überraschung mitbringen – und zwar kein Diebesgut! Über diese letzte Anmerkung musste Alanna lächeln. Diesen Scherz hatte Georg bei vielen Geschenken gemacht, die er ihr und Jon in den
Jahren, in denen sie sich kannten, überreicht hatte. Einen Moment lang wurde sie bitter beim Gedanken an Jon, aber bald darauf hob sich ihre Stimmung wieder. Georg liebte sie ganz offensichtlich, und sie hatte auf seine Liebe reagiert wie eine Blume, die sich in der Sonne öffnet. Niemals zuvor hatte man sie so verwöhnt und wie etwas Kostbares behandelt. Jon war immer mit ihr umgegangen wie mit einem Kameraden, außer wenn sie miteinander schliefen. Meistens mochte sie die Art und Weise, wie er sich ihr gegenüber verhielt, doch ein kleiner, verräterischer Teil von ihr sehnte sich nach der liebenswürdigen Aufmerksamkeit, die er
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