Alanna - Das Lied der Loewin
hatte. Sie bat uns sie Halef Seif zu bringen.«
»Und er schickt sie nun zu Meister Jendrai, damit der sie liest?«, fragte Windfeld.
Alanna schüttelte den Kopf. »Halef Seif wollte die Karte gar nicht haben. Er gab sie mir – er sagte, sie sei für mich bestimmt, nicht für ihn.« Sie lächelte ironisch. »Halef Seif kann ziemlich eigensinnig werden, wenn ihm danach ist. Er sagt, er sei glücklich bei den Blutigen Falken – das ist unser Stamm. Manches von dem, was er sagte – etwas von Vorsehung und dem Aufspüren einer Beute –, ergab keinen Sinn für mich. Tja, da bin ich also.«
Windfeld erhob sich, da einer der Gäste bedient werden wollte. »Ihr habt einen weiten Weg auf Euch genommen, nur um Eure Neugierde zu befriedigen, Mylady.«
Alanna lachte. »Ich hatte gerade nichts Wichtigeres vor.«
Als der Gast noch einmal rief, brüllte der Wirt mit einer Stimme, die die Dachbalken zum Beben brachte: »Geduld, Joss – du wirst schon noch was kriegen, bevor du heimgehst!« Er verbeugte sich vor Alanna und ging, um beim Bedienen zu helfen.
Eine Magd stellte ein Glas Wein vor Alanna. »Das schickt der da drüben, Mylady«, erklärte das Mädchen und deutete auf einen Mann, der an der Feuerstelle saß. »Er hat gesagt, ich soll Euch ausrichten, dass sich Rotschöpfe schon aus Sicherheitsgründen zusammensetzen müssen und ob Ihr Euch vielleicht zu ihm gesellen wollt, wenn das Glas hier leer ist.« Sie beugte sich herunter und flüsterte: »Ich will ja nicht respektlos sein, aber wenn er Euch nicht gefällt, mir gefällt er!«
Alanna sah zu dem Mann hinüber. Er prostete ihr zu. Seine Augen waren blaugrün, sein Gesicht gebräunt und pockennarbig. Das kurz geschnittene Haar war so kupferrot wie
ihres; seine Nase hatte wohl schon mit mehreren harten Gegenständen Bekanntschaft geschlossen. Ein Oberlippenbart umrahmte seinen sinnlichen Mund; darunter war ein ausgeprägtes Kinn. Man sah ihm an, dass er ein ausgezeichneter Kämpfer sein musste: Seine Schultern waren breit, seine Brust mächtig, Arme und Beine muskulös. Wie sie war er mit Hemd und Kniehose bekleidet. Außerdem fiel ihr auf, dass er keine Waffen trug, nicht einmal einen Dolch. Für einen Ritter war es wichtig, auf derartige Dinge zu achten: Waffenlos gingen nur Zauberer, Priester, Dummköpfe – und diejenigen, die keine Waffen brauchten. Es gab nur wenige Männer in dieser gewalttätigen Welt, die nicht darauf angewiesen waren, irgendwelche Waffen zu tragen.
Eigentlich müsste er hässlich sein mit seiner gebrochenen Nase und dem total vernarbten Gesicht. Wo er das wohl herhat? Vielleicht hatte er als Junge unreine Haut. Aber trotz allem ist er attraktiv!, dachte sie nervös. Warum interessiert er sich für mich? Einige der Frauen hier sind viel hübscher als ich . Sie hob ihr Glas und trank, ohne ihre Augen von seinen abzuwenden.
Seit sie vor vielen Jahren am Hof angekommen war und bis sie ihren Schild errungen hatte, wussten nur wenige, dass sie ein Mädchen war. Prinz Jonathan war zwar ihr Liebhaber gewesen, gleichzeitig aber ihr Freund – und die Rituale, mit denen Jon um Edelfräulein warb, waren zwischen ihnen beiden nicht nötig gewesen. Manchmal hatte Georg Cooper, der sie ebenfalls liebte, mit ihr geflirtet. Aber wenn er es so weit trieb, dass er sie in Verlegenheit brachte, befahl sie ihm einfach, damit aufzuhören. Viele der anderen Männer, die sie kannte, konnten sich nicht darüber hinwegsetzen, dass sie zur Ritterin geschlagen worden war, und wären niemals auf die Idee gekommen, Interesse an ihr als Frau zu zeigen.
Seit ihr wahres Geschlecht bekannt geworden war, hatte sie unter den Bazhir gelebt und für die war sie »die Frau, die wie ein Mann reitet« und ansonsten geschlechtslos.
Sie hätte sich gern zu diesem Mann gesetzt oder ihm gezeigt, dass sie sich für ihn interessierte, aber sie wusste nicht, wie man das machte. Wie flirtete man als Ritterin mit einem Unbekannten? Edelfrauen signalisierten ihr Interesse mit ihren Fächern oder einem Taschentuch, das sie fallen ließen. Die Bazhir-Frauen machten es mit ihren Augen über den Gesichtsschleiern. Aber sie besaß weder Fächer noch Schleier, und ihr Taschentuch würde keiner bemerken, wenn sie es hier fallen ließ. Und der Mut, zu seinem Tisch hinüberzugehen und sich einfach zu ihm zu setzen, fehlte ihr.
Sie wusste nicht, dass sie sehnsüchtig dreinschaute. Er grinste – es war ein bedächtiges, breites Grinsen, bei dem sich alles in ihr zusammenzog – und
Weitere Kostenlose Bücher