Alanna - Das Lied der Loewin
gut sogar. Was kein Wunder ist, da ich Euch und den Shang-Drachen im Haus habe.«
»Den Shang-Drachen?« Sie hatte nie Gelegenheit gehabt mit einem der berühmten Krieger zu sprechen. Das war schon immer ihr Wunsch gewesen, und jetzt sorgten die Götter dafür, dass sie mit dem besten von ihnen das Gasthaus teilte. »Er ist hier? Könnt Ihr mich mit ihm bekannt machen?«
Windfeld warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Ich hätte nicht angenommen, dass ich Euch noch mit ihm bekannt machen muss, so, wie Ihr Euch miteinander unterhalten habt.«
»Liam?«
»Liam Eisenarm, der Drache von Shang. Hat er sich nicht vorgestellt?« Alanna schüttelte den Kopf. »Und Ihr habt ihn nicht erkannt? Er wusste nämlich, wer Ihr seid – das hat er mir selbst gesagt.«
»Ich kenne keinen vom Orden der Shang und kaum einen, der etwas darüber weiß. Sie verkehren nur selten mit Edlen und mit den Bazhir ebenso wenig.«
»Tja, für mich sah es so aus, als hättet Ihr Euch recht gut
mit ihm verstanden«, sagte der Wirt schmunzelnd. Alanna lief feuerrot an und verschwand mit einem hastigen »Gute Nacht« in ihrem Zimmer.
Zu Gunsten von Windfeld und seinem Wandernden Barden muss gesagt werden, dass es weder an Alannas Bett noch an ihrem Zimmer lag, wenn sie nicht schlafen konnte. Das Bett war bequem; die Wände waren dick genug, um den Lärm zu dämpfen, der aus dem Gastraum schallte. Zuerst kam es ihr vor, als seien es die kleinen Dinge, die sie wach hielten. Es fing damit an, dass ihr Kater an der Tür kratzte und herein wollte. Dann fiel ihr das Licht des Vollmonds in die Augen, bis sie aufstand und den Vorhang vors Fenster zog. Als sie mit dem schnurrenden Trusty neben sich wieder im Bett lag, fand sie die Luft im Zimmer stickig. Seufzend erhob sie sich noch einmal, um das Fenster zu öffnen, aber nur einen Spaltbreit, denn die Nächte waren noch kühl.
Es gelang ihr nicht, ihre Gedanken abzuschalten. Zum Teil lag es an ihrer Aufregung, weil sie nun endlich Gelegenheit hatte mit einem Shang-Krieger zu reden. Das, was sie von dem sagenumwobenen Kriegerorden wusste, hatte sie bruchstückweise erfahren. Die Krieger, die nach Tieren aus der Sagenwelt wie Einhorn, Vogel Greif und Phönix benannt wurden, waren die besten des Ordens und allen voran stand der Drache. Jeder Shang-Krieger bekam einen Tiernamen, sobald er eine Prüfung abgelegt und ein Jahr lang draußen in der Welt gelebt hatte. Sie wusste, dass in den Orden kleine Jungen und auch kleine Mädchen im Alter zwischen mindestens vier und höchstens sieben Jahren aufgenommen wurden, um das harte Leben eines Shang zu erlernen. Jeder von ihnen musste mit den unterschiedlichsten Waffen umgehen können, dazu – und das fand Alanna noch interessanter
– beherrschten sie mehrere Techniken, mit bloßen Händen zu kämpfen.
Also war Liam der Drache von Shang. Damit war klar, warum er mutig oder gleichgültig genug war unbewaffnet zu sein. Es gab kaum einen, der ihm gefährlich werden konnte. Er hat Drachenaugen, dachte sie, als ihr einfiel, wie sie die Farbe gewechselt hatten. Fahlgrün , wenn er nichts preisgeben will, und – sie musste lachen – blaugrün, wenn er flirtet.
Schließlich gab sie es auf. Vielleicht werde ich ruhiger, wenn ich einen Ausritt mache , dachte sie und zog sich an. Schon Augenblicke später galoppierte sie mit Trusty auf Moonlight, ihrer goldfarbenen Stute, aus Berat hinaus. Alanna war so tief in Gedanken versunken, dass sie ritt und ritt, ohne darauf zu achten, welche Strecke sie zurücklegte. Auch dem Weg oder dem aufziehenden Nebel schenkte sie wenig Beachtung. Moonlight wurde langsamer und fiel in Trab, dann, als die Sicht noch schlechter wurde, ging sie im Schritt. Alanna war noch immer weit weg mit ihren Gedanken.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie geplant eine fahrende Ritterin zu werden, die Welt zu durchstreifen und große Taten zu vollbringen. Nun lernte sie, dass es auch im Leben eines fahrenden Ritters langweilige Zeiten gab, zum Beispiel, wenn man durch Landschaften kam, die sich kaum veränderten. Auch wurde nicht jedes Dorf von einem grausamen Herrn beherrscht; wenige Straßenkreuzungen waren in der Hand böser Ritter. Wenn es der König von Tortall wünschte, könnte er sie immerhin wie die anderen Ritter, die sie kannte, zu Grenzpatrouillen einsetzen, damit sie dort Jagd auf Banditen und Räuber machte. Aber vermutlich würde sie der König für solche Aufgaben nicht nehmen wollen. Roald war nämlich sehr verärgert, weil sie
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