Alanna - Das Lied der Loewin
kam herüber.
»Liam ist mein Name«, stellte er sich vor und streckte seine große Hand aus. »Und du bist Alanna die Löwin. Aus Tortall.«
Sie erwiderte seinen kräftigen Händedruck. Liams Handfläche war warm und schwielig wie ihre eigene. »Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er. Seine Augen blinzelten verschmitzt. Als Alanna nickte, nahm Liam Platz. »Bleibst du länger in Berat?«, erkundigte er sich, als die Magd mehr Wein und Früchte brachte.
Alanna schüttelte den Kopf. »Nicht länger als unbedingt nötig.« Sie füllte sein Glas. »Ich hatte vergessen, wie laut Städte sind. Ich habe nämlich bei den Bazhir gelebt.«
»Das habe ich gehört. Ich musste ziemlich herumfragen, bis ich erfuhr, was aus dir geworden ist, nachdem du den Herzog von Conté erschlagen hast.« Er sprach die Vokale
so breit aus wie die Bauern und sein »R« verschluckte er fast.
Sie runzelte die Stirn. »Du hast es dir zur Gewohnheit gemacht, mein Tun zu verfolgen?« Sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel.
Er nickte. »Menschen wie du verändern die Welt – ein kluger Mann behält solche Leute im Auge. Es war eine großartige Tat, den Neffen deines Königs zu töten und ihn als Verräter zu entlarven. Herzog Roger war ein mächtiger Mann.«
Alanna schaute weg. Sie fror. »Er verdiente zu sterben. Er versuchte, die Königin zu ermorden.«
»Macht es dir immer noch zu schaffen?«
Als ihm Alanna einen Blick zuwarf, erkannte sie, dass er sie verstand. Er weiß, dachte sie. Er weiß von Dingen wie Verrat und Angst und wie einen die Leute ansehen, wenn sie wissen, dass man etwas getan hat, was sie für unmöglich halten. »Manchmal. Alle bewunderten ihn. Damals geschah alles auf einmal: Erst kam ich ihm und seinen Plänen auf die Schliche und dann entlarvte er mich vor dem gesamten Hof als Mädchen. Ich hätte gern etwas Zeit gehabt, dass sich die Leute daran gewöhnen, wer ich in Wirklichkeit bin. Und dann tötete ich ihn. Dabei macht mir das Töten wirklich keinen Spaß. Darüber enke ich eben manchmal nach.«
»Das kannst du dir sparen.« Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Er war durch und durch schlecht, das kannst du mir glauben.«
»Du kanntest ihn?«
Als er nickte, lag etwas Kaltes in seinen grünen Augen. »Wir lernten uns kennen – vor langer Zeit.«
»Wie? Und warum hasst du ihn? Mir kommt es nämlich so vor, als würdest du ihn hassen – alle meine Bekannten
mochten ihn oder zumindest fast alle.« Ungeduldig setzte sie sich aufrecht hin. »Das ist unfair. Über mich weißt du alles.«
Als er leise lachte, wich der kalte Blick aus seinen Augen. »Ich werd’s dir eines Tages erzählen, Kätzchen – falls du ganz, ganz brav bist«, sagte er und strich sich den Bart glatt.
Sie wurde rot. Alanna, wenn du nicht aufpasst, dann sitzt du in der Klemme! sagte sie sich. Du weißt nichts von ihm, und schon hat er dich halb herumgekriegt! Sie rückte von ihm weg. »Du flirtest mit mir«, sagte sie mit strenger Miene.
»Macht Spaß oder etwa nicht?«, grinste er.
»Wer bist du?«, wollte Alanna wissen. »Jetzt sei doch fair!« Sie brach ab, als sie einen Tumult an der Eingangstür hörte. Eine Stimme, die sie nur allzu gut kannte, grölte:
»Ein solcher Anblick war den Prinzen neu
Und sie ehrn den Bettler bis zum heutigen Tag!«
Alanna zuckte zusammen. »Das ist Coram, mein Freund«, sagte sie zu Liam und erhob sich. »Wenn ich ihn nicht aufhalte, singt er die Strophe von den Kaufleuten und den Fischweibern, und dann können wir was erleben.«
Liam lachte mit blitzenden Zähnen. »Ja, das Lied kenne ich.« Er küsste ihre Hand. »Wir sehen uns wieder – darauf hast du mein Wort.«
Mit Überredungskunst und Drohungen gelang es Alanna, ihren übermütigen Lehensmann in sein Zimmer zu bringen, wo er auf dem Bett zusammenbrach. »Jendrai ist heut von seinem Landhaus zurückgekommen«, gähnte er. »Morgen Abend können wir hingehn.« Sekunden später schnarchte er.
Alanna verließ sein Zimmer. Sie wollte lieber schlafen gehen, als noch einmal nach diesem Liam zu suchen, der sie so aus der Fassung brachte. Gerade hatte sie ihre Tür aufgeschlossen, als der Gastwirt händereibend die Treppe heraufkam. Als er sie entdeckte, fragte er: »Braucht Ihr noch irgendwas?«
»Nein danke«, antwortete sie, deutete mit dem Kopf zu dem lauten Gastraum hinunter und fügte hinzu: »Hört sich an, als hättet Ihr mehr als genug zu tun.«
Windfeld strahlte. »Ja, heute Abend laufen die Geschäfte gut – sehr
Weitere Kostenlose Bücher