Alanna - Das Lied der Loewin
von seinem unnützen Gang zurückkehrte, fand er seine Schüler vor, wie sie sich im Ringen übten. Ralon fühle sich nicht wohl und sei auf sein Zimmer gegangen, informierten sie ihn.
Danach beschränkte sich Ralon auf kleine Boshaftigkeiten, denn er wusste, dass sich Alanna nie bei jemandem beklagen würde. Wäre sie je schwimmen gegangen, hätten die anderen die vielen Schrammen und blauen Flecke auf ihrem dünnen Körper gesehen. Sie sagte jedoch nichts und fuhr fort, mit Coram zu üben. Sie ließ Ralons Gemeinheiten über sich ergehen und verbrachte ihre Freizeit mit Ringen und Boxen. Sie schlief auf der Stelle ein, wenn sie sich abends ins Bett fallen ließ, nur um sich bei Morgengrauen wieder herauszuquälen, um weiterzutrainieren. Sie war entschlossen, Ralon fertigzumachen – denn für sie bedeutete das, dass sie damit schließlich und endlich ihren Platz unter den Pagen verdienen würde, dass sie all das, was die größeren und stärkeren Jungen konnten, ebenfalls schaffen konnte.
Ihr geschienter Arm erwies sich als Vorteil. Normalerweise war sie Rechtshänderin. Jetzt war sie bei allem auf die linke Hand angewiesen und mit ihrer Linken lernte sie zum
ersten Mal, richtig zu kämpfen. Schnell wurde ihr klar, dass sie doppelt so viel ausrichten konnte, wenn sie beide Hände benutzte, und sie mühte sich ab, so sehr sie nur konnte, um mehr Geschicklichkeit zu entwickeln.
Mitte Oktober entfernten die Palastheiler die Schiene. Sofern sie erstaunt waren, dass ihr Arm so schnell verheilt war, sagten sie nichts. In ihrer Ungeduld, es Ralon heimzuzahlen, hatte Alanna ihre Gabe benutzt und sich selbst geholfen, den gebrochenen Knochen zu heilen.
An dem Abend, an dem die Schiene abgenommen wurde, legte sich Alanna ins Bett und wartete, bis Coram schnarchte. Dann stand sie wieder auf, zog sich rasch dunkle Kleider an und nahm ihre Stiefel. Sie schlich durch Corams Zimmer, wobei sie sich bemühte kein Geräusch zu machen.
Als sie an der Tür ankam, stieß Coram einen Seufzer aus. »Was stellst du denn jetzt schon wieder an?«
Alanna erstarrte. »Schlaf weiter.«
»Wo gehst du hin?« In dem schwachen Licht, das durchs Fenster hereinfiel, sah sie, wie er sich aufsetzte.
»Wenn Herzog Gareth fragt, dann musst du nicht lügen, wenn du ihm sagst, du wusstest es nicht«, erklärte sie ihm.
Coram gab ein resigniertes Geräusch von sich. »Kleine – wenn du erwischt wirst, kriegst du Palastarrest.«
»Das weiß ich.«
»Also gut. Ich lass die Tür offen.« Er legte sich zurück und schlief sofort wieder ein.
Es war einfach, aus dem Palast hinaus und auf die Straße zu schleichen, die zur Stadt hinunterführte. Alanna machte sich im Laufschritt auf den Weg. Sie wäre lieber auf Chubby geritten, doch sie wusste, dass sie dann den Palast nicht hätte verlassen können, ohne entdeckt zu werden.
Das »Tanzende Täubchen« war brechend voll. Sie konnte durch die rauchgeschwängerte Luft kaum etwas sehen, und der Lärm, den die Diebe und ihre Mädchen veranstalteten, war ohrenbetäubend. Einen Augenblick lang wollte sie sich umdrehen und davonrennen, doch zu Hause wartete Ralon. Da war es besser, Georgs Freunden gegenüberzutreten – die waren wenigstens ehrliche Gauner und nicht so hinterhältig wie Ralon. Aber wie sollte sie in diesem Trubel Georg finden?
Eine große, vollbusige Rothaarige blieb stehen und nahm Alanna in Augenschein. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sagte in affektiertem Ton: »Bist du nicht noch ein bisschen zu jung, Herzchen, um dich hier rumzutreiben?«
Die raue Stimme der Frau klang spöttisch, aber ihre großen braunen Augen waren freundlich. »Ich suche Georg«, entgegnete Alanna. »Er hat mir gesagt, ich könnte ihn hier finden.«
Die Frau zog ein Gesicht. »Hat er das? Das sieht ihm ähnlich, ’nem jungen Bengel zu sagen, er solle zu einer derartigen Zeit herkommen!«
»Ich glaube nicht, dass er erwartet hat, ich könne bei Nacht hier auftauchen«, erklärte Alanna.
»Soso. Warte hier!«, meinte die Frau. Sie verschwand in der Menge und kehrte nach ein paar Minuten wieder zurück. »Also komm schon – und pass auf deine Geldbörse auf!«
»Ich habe keine mitgebracht!«, schrie Alanna über den Lärm hinweg, während sie hinter der Rothaarigen herging.
»Da wär’n wir.« Die Frau schob Alanna in eine Lücke vor dem Feuer. Neben dem Kamin stand ein Tisch und da, am Kopfende, saß Georg, umgeben von Männern und Frauen,
die Alanna misstrauisch beäugten. Georg schaute
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