Alanna - Das Lied der Loewin
lautete: fünfzehn Tote, sechsunddreißig Verletzte (darunter auch der zukünftige König), unzählige Schäden an Einkaufsläden und Marktständen. Die Atmosphäre von Misstrauen und Furcht verdichtete sich.
Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – begann Jonathan einmal in der Woche durch die Hauptstadt und die ländliche Umgebung zu reiten.
Jonathan stand auf einem Balkon des Palasts, sah zu, wie die Sterne am Himmel erschienen, und entspannte sich, während er sich auf einen Abend mit seinem Hofstaat vorbereitete. Wieder würde Josiane versuchen, ihn zurückzugewinnen, und wieder würde er sie auf Abstand halten. Nicht zum ersten Mal bedauerte er seine Affäre mit der Prinzessin von den Kupferinseln. Er war ihrer schnell überdrüssig geworden, aber sie begriff nur widerstrebend. Jetzt, da er sie besser kannte, war ihm auch klar, dass sie eine sehr schlechte Königin abgeben würde, selbst wenn Lianne, seine Mutter, sie für ihn ausgesucht hatte.
Trotz allem musste er lächeln. Gerade hatte er als Stimme der Stämme seine Zwiesprache mit den Bazhir gehalten. Zum ersten Mal seit Januar war es ihm dabei gelungen, mit Coram Kontakt aufzunehmen, und so hatte er erfahren, dass die Reisenden am Abend die Westgrenze von Maren passiert
hatten und am nächsten Tag in Tyra vor Anker gehen wollten. Bald war Alanna wieder zu Hause, und er konnte seine Löwin – und das Juwel der Macht – für seine Aufgaben einsetzen.
»Das ist alles, Majestät.« Der Bucklige, der als Aled der Waffenschmied bekannt war, begann unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. »Ich wollte, Kralle wäre nie zu mir gekommen. Es gefällt mir nicht, und ich möchte erst recht nicht wissen, was passieren würde, wenn durchsickert, was da im Gange ist.«
Georg hatte sich in seinem Sessel breit gemacht und rieb sich das Kinn, während er seinen Informanten musterte. Der Waffenschmied drehte nervös seine Kappe in der Hand. Schließlich goss der König der Diebe einen zweiten Humpen ein und reichte ihn dem anderen. »Vielleicht hat dir Kralle ’nen Bären aufgebunden, Aled. Es wäre nicht das erste Mal, dass einer die Treue seiner Leute auf die Probe stellt, indem er ihnen eine Lüge auftischt.«
»Aber er hat dafür mit Gold bezahlt«, sagte Aled. »Außerdem weiß er nicht, dass Isham Mordmeister und Kasi der Spion schon seit fünf Jahren bei mir kaufen. Und nur Mordmeister mag Rüstungen im Stil der K’mir – bloß will er sie schwarz lackiert, was die nie tun würden. Und der Spion ...«
»Das reicht. Wenn du sagst, dass sie in die Sache verwickelt sind, muss ich dir vertrauen. Immerhin bezahle ich dir ja genug.«
»Es geht mir nicht nur ums Geld, Majestät«, protestierte Aled. »Meine Mutter hat keine Idioten aufgezogen. Für jemanden, der einen König umbringt, gibt’s nur eines.« Mit einer Handbewegung zeigte er genau, was er meinte. »Ich hab Angst vor Kralle, weil er verrückter ist als ein Priester;
aber auch wenn unsereins nicht ehrlich ist, unserem Herrscher sind wir trotzdem treu. Wenn unsere Leute wüssten, was Kralle da vorhat, dann würden diejenigen, die ihm helfen, gar nicht erst überleben, um dem Richter vors Gesicht zu treten. Und ich sitze nun zwischen der Göttin und dem Dunkelgott, und kein Fluchtweg ist in Sicht.«
Georg warf dem Waffenschmied einen Silbernobel zu. Der fing ihn auf und biss darauf, um sicherzustellen, dass es keine Fälschung war. »Kein Wort zu Kralle, Aled.«
Der Mann zuckte zusammen – ihm war klar, was Kralle mit ihm anstellen würde, wenn herauskam, dass er mit Georg gesprochen hatte. »Nie und nimmer, Majestät!« Vor sich hin murmelnd verließ er das Tanzende Täubchen.
Georg starrte in die Ferne. Als Alanna ihn Jonathan vorgestellt hatte, hatte er gewusst, dass einmal der Tag kommen könnte, an dem seine Pflichten dem Schurkenhof gegenüber und seine Freundschaft mit dem Prinzen in Konflikt miteinander gerieten. Jetzt war es so weit – was sollte er tun? Eine Rettungsaktion bei einem Aufruhr, wo jeder zu aufgeregt war, um klar zu denken, war eine Sache. Eine Verschwörung zu verraten war eine andere. Die Mörder vom Marktplatz waren tot und Kralle war sowieso untergetaucht, also hätte es gar nichts genutzt, wenn er damals gemeldet hätte, wer die ganze Sache angezettelt hatte. In der Geschichte dagegen, die ihm Aled gerade erzählt hatte, ging es um korruptes Schlosspersonal und um eine Verschwörung, die vom Palast bis zu Kralle reichte.
Georg war in der
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