Alanna - Das Lied der Loewin
Auch er war mal ein aufgeweckter junger Mann.«
Thom starrte ihn mit blutunterlaufenen, amethystfarbenen Augen an. »Meinst du, das da wäre ein Schlamassel, in das ich versehentlich hineingestolpert bin und aus dem mich mein Lehrmeister rausholen könnte? Eine Sicherheitsmaßnahme, die ich vergaß? Eine kleine Nachlässigkeit, die von einem, der älter – und natürlich erfahrener – ist, korrigiert werden könnte?«
»Nein. Solche Fehler zeigen sich sofort und sind oft tödlich. Aber vielleicht hat Si-cham bereits gesehen, was nicht mit dir stimmt, bevor ...«
»Ich will nichts davon hören«, sagte Thom mit ausdrucksloser Stimme und wischte sich die Augen am Ärmel trocken.
»Sie waren eifersüchtig auf mich in der Stadt der Götter, alle meine Meister. Nichts gefiele ihnen besser, als mitzuerleben, wie ich mich in einen Fehler verstrickt habe.«
Seine nächsten Worte überlegte sich Georg genau. Er befand sich auf gefährlichem Boden, das war ihm klar. Schließlich entschloss er sich trotzdem zu reden. »Was ist mit Herzog Baird – dem Obersten Palastheiler? Vielleicht kann er ...?«
Thom gab ein freudloses Lachen von sich. Es klang heiser, denn seine Stimmbänder waren nicht ans Lachen gewöhnt. »Baird! Ich werde verrückt! Dieser ... dieser ...« Er holte Luft. »Meinst du vielleicht, meine Zaubergabe hat sich erkältet? «
Georg lächelte. »Weiß dein Freund Bescheid?«
Beiden war klar, wen er meinte. »Wenn, dann behält er es für sich. Ich kann ihn nicht – und werde ihn nicht – fragen.« Leise fügte Thom hinzu: »Ich fürchte mich davor.« Er wandte Georg sein fahles, verhärmtes Gesicht zu. »Ich glaube, er weiß genau, was mit mir los ist.« Er sprang aus seinem Sessel auf. »Bist du jetzt glücklich? Wirst du Myles sagen, dass er die ganze Zeit recht hatte? Und warum sagst du es nicht auch Jon, wenn du schon dabei bist? Du hast keinen Beweis, dass Roger wieder – vollständig ist, gar keinen!« Tränen liefen ihm über die Backen.
»Beruhig dich, Junge«, sagte Georg, ohne sich anmerken zu lassen, wie erschrocken er war. »Du machst mich ja ganz fertig.«
Thom lachte. »Ich selbst hab auch keinen Beweis«, fuhr er dann müde fort. »Aber was soll ich denn sonst denken, als dass er es ist, der das mit mir anstellt? Entweder das – oder ich muss glauben, dass sich die Götter von mir abgewandt haben. Weil ich dachte und sagte, es wäre ganz einfach, aus mir einen Gott zu machen.«
»Wenn es einen gibt, den du um Rat fragen kannst ...«
»Es gibt keinen. Dafür habe ich gesorgt, nicht wahr? Es wird vorübergehen. Ich werde eine Möglichkeit finden, mich zu heilen – irgendwas. Ich habe nicht an den richtigen Stellen gesucht.«
Georg begriff immer, wenn man ihn loswerden wollte. Er nahm seinen Umhang.
»Danke«, flüsterte Thom.
»Heute habe ich nichts getan, wofür du mir danken müsstest«, sagte Georg schroff. »Weder für dich noch für sonst wen.«
»Du hast mir zugehört, obwohl ich mein Bestes tat dich zu vergraulen. Und du hast nicht gesagt, du habest mich ja gewarnt. Falls er wirklich irgendwas tut.«
Georg nickte und ging. Thom sah einen Augenblick ins Feuer, dann krächzte er drei Worte. Eine Welle von Meerwasser ergoss sich über die Feuerstelle, warf die Kerzen um und löschte das Feuer, bevor sie wieder verschwand. Für den Rest der Nacht saß Thom da, roch verkohltes Holz, Meer und feuchte Teppiche.
Der Schurkenkönig, den Thom schon vergessen hatte, als sich die Tür hinter ihm schloss, ging zu seinem neuesten Versteck. Bei Morgengrauen ritt sein Bote mit einem dringenden Brief an Si-cham, den Obersten Meister des Mithran-Ordens, nach Norden zur Stadt der Götter.
Einige Nächte nachdem Georg seine Informationen weitergegeben hatte, setzten Jonathan und der Oberste Richter ihren Plan in die Tat um, die Verschwörer zu schnappen. Sie trafen sich in einem Raum in der Nähe der Personalunterkünfte. Jon hatte auch Roger herbeordert. »Ihr übernehmt
jetzt das Kommando«, sagte Jon zu dem Richter, sobald sein Vetter kam. »Sagt uns, was wir tun sollen.«
Der Richter öffnete eine versteckte Klappe, die zu dem Gewirr von Geheimgängen und vom Personal benutzten Korridoren führte, die in diesem Teil des Palasts lagen. »Wir werden alles sehen und hören können. Meinen Jungs ist es gelungen, das Zimmer entsprechend herzurichten, was wir der frühzeitigen Warnung zu verdanken haben. Aber ihr müsst absolut still sein, sonst ist unser Spiel aus.«
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