Alanna - Das Lied der Loewin
Der alte Mann war bürgerlich – es war leicht daran zu erkennen, wie er sich ausdrückte.
»Wenn sie das sagen, was man behauptet hat, gebe ich das Signal zu ihrer Verhaftung.«
»Ich begreife nicht, warum meine Anwesenheit nötig ist«, kommentierte Roger. Er sah gelangweilt aus.
Jonathan warf ihm einen Blick zu und sagte schroff: »Nenn es eine Laune von mir, wenn du magst, Roger.«
»Seit wann betätigt sich der zukünftige König als Spion – auch wenn es nur einer Laune entspringt?« Rogers melodische Stimme klang sarkastisch.
»Wir spionieren Attentätern nach«, sagte der Richter trocken. »Königsmördern.«
»Eine Verschwörung, um meinen Vetter zu töten? So ein Unsinn!« Rogers Stimme wurde schärfer. »Verdächtigst du mich , Jonathan?«
»Dich hatte ich damit nicht in Verbindung gebracht«, lautete die kühle Antwort.
»Ich war der Meinung, man wolle mir meine früheren Irrtümer vergeben«, sagte Roger bitter.
»Sind deine Freunde derselben Meinung?«, erkundigte sich Jon. »Vielleicht solltest du die fragen – falls du die Antwort nicht schon kennst!«
»Genug!«, befahl der Richter. »Machen wir uns auf den Weg.«
Sie gingen durch die Korridore, bis sie einen der Männer des Richters trafen. Leise führte er die drei zu Gucklöchern in der Wand des Korridors, durch die man beobachten und hören konnte, was in dem dahinterliegenden Zimmer vor sich ging, obwohl man die Öffnungen von drinnen nicht sehen konnte. Drei Bedienstete, die je nach Temperament saßen, standen oder auf und ab gingen, waren dort. Jonathan zuckte zusammen, als er seinen Kammerdiener und das Mädchen erkannte, das ihm spätnachts zu essen oder zu trinken brachte. Der dritte Mann, der an seinen Nägeln nagte, trug die Uniform der Männer von der Palastwache, den Rivalen der Königlichen Leibgarde.
Jon warf Roger einen verstohlenen Blick zu, weil ihn interessierte, wie er wohl reagieren würde. Der Mund des Vetters war ein grimmiger Strich, während er zusah, was sich hinter den Gucklöchern abspielte. Ihm war keine Aufregung oder Sorge anzumerken. Jon hatte eigentlich schon mit so einer Reaktion gerechnet.
»Wann kommen sie?«, fragte der Wachtposten drinnen ärgerlich. »Wenn uns mein Feldwebel kontrolliert ...«
»Du sagtest, er kontrolliere nie .« Die Stimme des Mädchens war klar und kalt.
»Aber wenn er es heute Nacht mal tut?«
»Mach dir bloß nicht in die Hosen«, sagte der Kammerdiener zornig. »Wenn du getan hast, was man dir aufgetragen hat, läuft alles nach Plan.«
Als an der Tür ein zweimaliges Klopfen erklang, erstarrten alle im Raum. Wieder klopfte es, dann noch ein drittes Mal. Das Dienstmädchen schob den Riegel zurück und ließ vier
Männer ein. Der eine war der Palastschreiber, den Jonathan allen anderen vorzog. Denen, die mit ihm kamen, hatte er offensichtlich den Weg gezeigt. Das bittere Gefühl, das Jon verspürte, weil ihn gerade dieser Schreiber verraten hatte, schob er für später beiseite und wandte seine Aufmerksamkeit den anderen zu, die nicht aus dem Palast stammten.
Kralle – Ralon von Malven – erkannte er von Beschreibungen her. Die übrigen beiden waren die Attentäter, wie er annahm, der Spion und der Mordmeister. Jedenfalls sahen sie ganz nach Mördern aus.
Das Dienstmädchen verriegelte wieder die Tür. Kralle blickte sich um. »Wart ihr vorsichtig auf dem Weg hierher?«, fragte er die Leute vom Personal. »Ist euch keiner gefolgt?«
Jon lächelte grimmig. Er erkannte Ralons Stimme auf der Stelle. Dann sah sich Kralle in allen Ecken um. Offensichtlich stand er unter dem Zwang sich unablässig zu bewegen. »Wehe dem, der mich verrät.«
»Keiner von uns kann es wagen, einen anderen zu verraten«, sagte der Kammerdiener. »Dafür sind wir alle zu sehr in die Sache verstrickt.« Er warf einen Stoß Papiere auf den Tisch, der mitten im Zimmer stand. »Das ist mein Anteil. Pläne von den Räumen des Königs, einschließlich aller Einund Ausgänge.«
Auch der Wachtposten legte ein Blatt Papier auf den Tisch. »Das sind die Nächte, in denen ich an der Küchenpforte Wache habe. Aber die Einzelheiten will ich nicht erfahren ...« Kralle legte mit wildem Blick die Hand auf das Heft seines Dolchs. »Du wirst so viel erfahren, wie ich will! Und wenn ich deine Meinung wissen möchte, werd ich es dir sagen!« Der Wachtposten ging erschrocken einen Schritt rückwärts.
Aus den Augenwinkeln sah Jon, dass der Oberste Richter
einem seiner Männer ein Zeichen gab. Der
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