Alanna - Das Lied der Loewin
Unterwelt aufgewachsen und hatte die Gesetze der Unterwelt gelernt: Gehorche dem Schurkenkönig, bezahle seine Steuer, und – das war das Allerwichtigste – verrate nie einen Dieb an die Gerichtsbarkeit des Königs .
Darauf stand ein langsamer Tod. Vor einem Jahr wäre Georg der Letzte gewesen, der einen solchen Verrat in Betracht gezogen hätte. Vor einem Jahr hat es noch Spaß gemacht, Schurkenkönig zu sein, dachte er wütend, und ich hab gedacht, meine Leute würden ebenso für mich durchs Feuer gehen wie ich für sie. Damals wusste ich noch nicht, wie sie sich untereinander und mich an Kralle verpfeifen, und das für Geld, aus Boshaftigkeit oder Angst.
Jonathan war sein Freund. Sie hatten viele gute Abende zusammen verbracht, hatten dieselbe Frau geliebt und beide wussten sie, was es hieß, König zu sein. In manchen Dingen stand ihm Jon näher als Alanna – sie wusste nichts von der Bürde, die man als König zu tragen hatte. Jon dagegen hatte nie etwas anderes gekannt.
Entweder bin ich blöd geworden oder das Leben ist jetzt schwieriger, dachte er und seufzte . Mir scheint, die Dinge waren nicht immer so kompliziert. – Zumindest wird sich Mutter freuen, wenn sie es hört.
Als Thom von Trebond spätabends zu seinen Räumlichkeiten im Palast zurückkehrte, fiel ihm als Erstes auf, dass die Tür zu seinem Arbeitszimmer nur angelehnt war. »Ich werde die Mägde in Fische verzaubern, wenn sie es waren, die meine Tür offen gelassen haben!«, schrie er und stieß sie vollends auf.
Die dunkle, an der Feuerstelle sitzende Gestalt war klarer zu erkennen, als das Licht auf sie fiel, das Thom ausstrahlte. »Ich sehe schon, Kerzen brauchen wir keine«, sagte Georg. »Mach die Tür zu, sei so gut.«
Thom starrte seinen Gast an, dann gehorchte er. Nachdem er sich in einen Sessel hatte sinken lassen, fragte er: »Was
treibst du hier so spät? Du führst nichts Gutes im Schilde, da möchte ich wetten.«
»Wieso musst du überhaupt fragen? Siehst du nicht morgens in deiner Teetasse alles, was passieren wird?«, sagte Georg sarkastisch. Er hatte gerade Jon von dem geplanten Attentat erzählt – und damit den Schurkenring verraten .
Thom versuchte im Gesicht des anderen zu lesen, aber das Licht, das von ihm ausging, war nicht hell genug. »Du bist doch hoffentlich nicht in deinem Amt als Dieb hier, oder?« Georg funkelte ihn wütend an. »Hältst du mich für einen Idioten, Thommy, mein Lieber? Wenn ich es dir sagen wollte, würde ich es tun. Zufällig will ich aber nicht.«
Thom zuckte die Achseln. »Wie du meinst.« Er warf Feuer zu den Leuchtern hinter Georg, doch zuviel davon, sodass die dicken Wachskerzen sofort bis zur Hälfte herunterbrannten. Er schaute verstohlen zu dem Dieb hinüber, weil er wissen wollte, was der davon hielt, aber nur um die Augen herum war Georg anzusehen, dass ihm etwas Ungewöhnliches aufgefallen war.
»Sag was!«, befahl Thom mit gepresster Stimme. »Alle anderen haben es schon getan! Ich hörte, wie Baird zu Jonathan sagte, die Mithran-Priester hätten mich vielleicht zu früh gehen lassen.« Als Georg nicht antwortete, schrie er: »Verdammt, sag es!«
»Kühl hast du’s hier drinnen«, war die gelassene Antwort. »Ich weiß ja, dieses alte, ehrwürdige Gemäuer ist schwer zu heizen, außerdem ist bald Mittsommer und überhaupt ...«
Thom begann zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. Er vergrub das Gesicht in den Händen und lachte, dass es seinen dürren Körper schüttelte. Georg wurde unruhig. Er stand auf und legte Thom eine Hand auf die Schulter.
»Nein!«, rief der Zauberer, doch es war zu spät. Georg zog seine Hand sofort zurück. Thom war viel heißer, als ein Mensch sein konnte, ohne zu sterben.
»Beim Bauch des Dunkelgottes, Thom – wie lange bist du schon so?«
»Keine Ahnung«, sagte der jüngere Mann und schüttelte den Kopf. Er sah, dass Georg schauderte. »Na los, zünd ein Feuer an. Es spielt keine Rolle. Ich würde es selber tun, aber ...« Er sah zu den Kerzen hinüber.
Georg kniete sich hin, nahm Feuerstein und Stahl und machte Feuer. Während er den Flammen zusah, sagte er vorsichtig: »Als wir dich in der Stadt der Götter besuchten, hat mich dieser alte Si-cham beeindruckt ...«
»Nein. Nein, sag ich dir. Damit er herkommt und sich an meinem Unglück weidet ...?«
»Er schien mir nicht zu denen zu gehören, die sich am Unglück anderer weiden, Junge. Er hätte dich gemocht, wenn du ihm nur die geringste Chance gelassen hättest.
Weitere Kostenlose Bücher