Alanna - Das Lied der Loewin
nicht reichen«, erklärte ihr Baird. »Als Heiler wirst du wissen, dass das Heilen gewöhnlich nur einen kleinen Teil der Kraft eines Heilers beansprucht. Bei diesem Fieber ist es anders. Es beraubt dich ganz und gar deiner Kraft – und wenn du versuchst auch weiterhin zu heilen, wird sie in einem solchen Maß aufgezehrt, dass es dich das Leben kostet. Schon drei meiner Heiler sind gestorben. Willst du dein Leben riskieren, indem du dich gegen diese Hexerei stellt?«
»Also glaubt Ihr tatsächlich, dass diese Krankheit durch Zauberkraft verursacht wurde?«, fragte Myles.
Der Heiler rieb sich die Augen. »Natürlich. Außerhalb der Stadt ist keiner erkrankt, und kein Heiler wird von einem gewöhnlichen Fieber umgebracht. Und ich finde es sehr interessant, dass der Thronerbe erst erkrankte, als alle Palastheiler ihre Kraft erschöpft hatten.«
»Kann keiner von unseren Zauberern gegen dieses Fieber ankämpfen oder feststellen, wo es seinen Ursprung hat?«, fragte Myles.
»In Tortall gibt es keinen, der dafür mächtig genug ist. Herzog Roger wäre es, doch der ist in Carthak. Der König hat nach ihm schicken lassen, doch in weniger als einem Monat kann nicht einmal Roger von Conté so weit reisen.«
Alanna hörte zu und beobachtete währenddessen Jonathan. Er glühte regelrecht und warf sich unter seinen Decken
hin und her. Sie biss sich auf die Lippe. Auf eine gewisse Art und Weise hatte sie den Tod von Francis verschuldet. Sie hatte ihm ihre Heilkraft versagt, und er war gestorben. Diesen Fehler durfte sie nicht noch ein zweites Mal machen. »Ich werde es trotzdem versuchen«, meinte sie. Als sie sah, wie ernst Baird dreinblickte, fügte sie hinzu: »Mit Eurer Erlaubnis.«
Baird streckte ihr eine Hand hin, und Alanna griff danach. »Ich bin sehr müde«, sagte der Oberste Heiler. »Wenn du so fähig bist, wie du behauptest, sollte es dir eigentlich nicht allzu schwerfallen, mich zu stärken. Tu es!«
Alanna schaute auf die Hand des Herzogs. Langsam und vorsichtig fühlte sie in sich hinein. Da war er: ein purpurfarbener, winziger Feuerball, der anschwoll, während sie ihn im Geist sanft anstieß. Wie immer, wenn sie ihre Zauberkraft anrief, begann ihre Nase zu jucken. Sie ignorierte dieses unangenehme Gefühl. Ihre Augen tränten. Sanft zog sie das Feuer in ihrem Körper empor und ließ es durch ihren Arm und in den Heiler fließen. Herzog Baird stieß zischend die Luft aus und griff fester nach ihrer Hand. Alanna ließ das Purpurlicht in den Mann gleiten, bis er nichts mehr davon aufnehmen konnte. »So soll es sein«, flüsterte sie und ließ seine Hand los.
Alanna taumelte. Ihr war ein bisschen schwindlig. Myles packte sie am Arm.
»Mir geht es gut«, erklärte sie ihrem Freund. Dann sah sie Herzog Baird an. »Mir blieb gar nichts anderes übrig, als das hier zu lernen. Mein Bruder wurde nämlich immer müde, wenn wir einen Fußmarsch unternahmen.«
Der Heiler starrte sie an und rieb sich die Hand. »Möge dir Mithros beistehen«, flüsterte er. »Ich glaube, der Prinz hat
tatsächlich eine Chance.« Er eilte aus dem Raum. Myles, Coram und Timon starrten Alanna ehrfürchtig an, weil der Herzog so von ihr beeindruckt gewesen war. Alanna fühlte sich benommen und ein wenig einsam. Sie mochte es nicht, wenn die Leute sie ansahen, als müsse man Angst vor ihr haben. »Bleibt ihr da?«, bettelte sie.
Myles legte ihr den Arm um die Schulter. »Du kannst auf uns zählen«, sagte er.
Die anderen beiden nickten.
Alanna biss sich nachdenklich auf die Lippe. »Wir versuchen es erst mit den üblichen Heilmethoden«, entschied sie. »Coram, wir brauchen ein Feuer, das so hoch brennt wie nur irgend möglich.« Der Diener verbeugte sich und verließ den Raum. Alanna ging zum Schreibtisch und nahm sich Papier und Feder. Hastig schrieb sie etwas nieder. »Timon, diese Dinge benötige ich aus der Küche. Und außerdem brauche ich ein paar zusätzliche Decken.«
Timon nahm die Liste und verschwand. Myles schürte das Feuer mit dem Holz, das in einem Korb neben dem Kamin lag.
»Alan?« Jonathans Stimme war tief und krächzend. Alanna ging zu ihm und nahm seine Hand.
»Ich bin da, Jonathan. Ich bin es, Alan.«
Jonathan lächelte. »Ich weiß, dass du mich nicht sterben lassen wirst.«
»Ihr werdet nicht sterben«, sagte Myles über Alannas Schultern hinweg. »Daran dürft Ihr nicht einmal denken.«
Jonathan runzelte die Stirn. »Myles? Ihr seid auch hier?« Er sah sich um. »Ich träumte, hier seien viele
Weitere Kostenlose Bücher