Alanna - Das Lied der Loewin
mit den natürlichen Heilmitteln versucht.«
Der König tätschelte seiner Frau die Hand. »Vergiss nicht, was Herzog Baird sagte. Wir können Myles und Alan vertrauen. Wir müssen ihnen vertrauen.«
Lianne ging zu Jonathan, der fest schlief, und nahm seine Hand. Ihre Augen glänzten feucht. »Er ist alles, was wir haben, Alan. Ich kann nicht – ich bin nicht mehr in der Lage Kinder zu bekommen.« Sie warf dem König ein tapferes Lächeln zu. »Wenn mein Mann dir vertraut, dann will ich es ebenfalls tun.«
»Mutter?« Jonathans Stimme war nur ein Flüstern. »Vater?«
Alanna zog sich ins Ankleidezimmer zurück. Es dauerte nicht lange, bis König Roald sie wieder rief. »Er schläft. Schickst du nach uns, wenn ...« Dem König gelang es nicht, seinen Satz zu Ende zu sprechen. Aus einem Impuls heraus streckte Alanna die Hand aus und berührte sanft seinen Arm.
»Wir werden Euch sofort Bescheid geben, sobald sich sein Zustand irgendwie ändert«, versprach sie.
Leise trat Myles ins Zimmer und verbeugte sich vor dem König und der Königin. »Er wird wieder gesund werden«, sagte er zu Lianne. »Wir sind mit all unseren Gebeten bei ihm.«
»Abgesehen von den Gebeten dessen, der das Fieber geschickt hat«, entgegnete die Königin.
Der König und Myles wechselten einen Blick. Die Königin hatte recht. Wer war es, der dem Prinzen feindlich gesinnt war?
Liebevoll ergriff der König den Arm seiner Gattin. »Komm, meine Liebe«, sagte er leise. »Wir müssen gehen.«
Coram und Timon kehrten zurück, als Jonathans Eltern den Raum verließen. Alanna krempelte die Ärmel hoch. »Lasst uns das Feuer noch mal schüren«, sagte sie mit düsterer Miene.
Es war eine lange Nacht. Jonathans Husten hörte schließlich auf. Alanna hörte ihm die Brust ab und lächelte, als sie entdeckte, dass er frei atmete. Doch das Fieber ließ nicht nach und trocknete Jonathans Lippen aus, bis sie aufsprangen und bluteten. Er setzte sich gegen Alanna und Myles zur Wehr, während er im Schlaf schlimme Alpträume durchlebte. Seine Stimme war so schwach, dass sie sie fast nicht mehr hörten, und Alanna war erschüttert, wenn sie sah, wie er schrie, ohne einen Laut von sich zu geben.
Myles packte sie an den Schultern. »Alan! So kann es nicht weitergehen! Benutze deine Gabe!«
»Ich habe sie benutzt!«, rief sie. »Ich bin nicht ausgebildet ...«
»Dann geh in dich! Siehst du denn nicht, dass er stirbt?«
Alanna schaute ins Feuer. Es loderte hungrig im Kamin und wartete auf sie. Sie rieb sich die Augen. Schon jetzt war sie von den kleinen Zaubersprüchen und Tricks, die sie im Lauf des Tages angewandt hatte, völlig erschöpft.
Sie hob das letzte Kräuterbündel auf. Es enthielt Eisenkraut. Sie hatte die ganze Zeit über gewusst, dass es dazu kommen würde. Langsam öffnete sie es und starrte auf die brüchigen Blätter.
»Coram. Timon.« Ihre Stimme klang matt. »Es ist wohl besser, ihr geht.« Coram trat zu ihr. »Kleiner ...«, begann er sorgenvoll. Er sah ihr ins Gesicht und seufzte. »Komm, Timon, wir verschwinden«, sagte er. »Wir sollten nicht dableiben, wenn sie mit der richtigen Magie anfängt.« Die beiden gingen hinaus und Myles verriegelte die Tür.
Alanna warf das Eisenkraut ins Feuer. Es stand ihr nicht zu, sich an einem derartigen Zauber zu versuchen. Sie war kein Zauberer, und andere, die viel älter und mächtiger waren als sie, waren bei dem Versuch gescheitert, mit den Mächten umzugehen, die sie jetzt anrufen wollte.
Ein Stöhnen vom Bett her erinnerte sie daran, weshalb sie hier war. Sie kniete sich vors Feuer und flüsterte die Worte, die – wie Maude sie gelehrt hatte – die Mächtigen der Götter herbeirufen würden. Langsam, unendlich langsam, weil sie so müde war, verfärbten sich die Flammen violett. Mit beiden Händen griff sie in das purpurfarbene Feuer.
Ihr Innerstes, das, was sie zu Alanna machte, strömte durch ihre Handflächen aus. Sie verströmte ihr Feuer; sie war das Feuer. Dann sprach sie den Zauberspruch, den sie, wie Maude ihr gesagt hatte, nur sprechen durfte, wenn nichts anderes mehr möglich war.
»Dunkle Göttin, Große Mutter, zeig mir den Weg. Öffne mir die Tore. Leite mich, Mutter der Berge und der Meere ...«
Mit einem Geräusch, das sich anhörte wie ein Donnerschlag, loderte das Feuer auf. Alanna zuckte zusammen, doch sie konnte sich nicht von der Feuerstelle entfernen. Das Feuer füllte ihre Augen. Sie sah, wie sich vor ihr unzählige Tore und Türen öffneten. Und
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